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Weisenborn aus 'Spurensuche'

Am Donnerstag, 26. März 2009 gedachten Mitglieder der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. eines Mannes, nach dem in Leverkusen-Opladen eine Straße benannt wurde. Die Widmung geschah durch einen Bürgerantrag, den ein Mitglied der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. gestellt hatte, um an den antifaschistischen Schriftsteller Günther Weisenborn zu erinnern.
Nachfolgender Beitrag von Manfred Demmer gibt Auskunft über diese Geschichte und Günther Weisenborn.

»Menschen bewegen,
ihr Leben zu ändern«

»Über diesen Antrag sind wir hocherfreut«, so wird die Leverkusener Stadtverwaltung in der Presse zitiert. Was war der Grund des Entzückens auf einen Bürgerantrag, den ich Ende 1993 gestellt hatte. Warum und für wen hatte ich damals den Bürgerantrag gestellt?

In Kürze geantwortet: Mich ärgerte der Umgang der herrschenden Eliten mit der Geschichte, sowie die Tatsache, dass in einer Stadt, in der Günther Weisenborn (um ihn handelte es sich bei dem Bürgerantrag) – der am 26. März 1969 verstarb – etliche Jahre seines Lebens verbrachte, so gut wie nichts an den antifaschistischen Schriftsteller erinnerte. Das Ergebnis war dann Jahre später die Errichtung der Günther-Weisenborn-Straße.

Günther Weisenborn wurde am 10. Juli 1902 in Velbert (Rheinland) geboren und kam mit seiner Familie einige Zeit später nach Opladen (damals die Kreisstadt des Rhein-Wupper-Kreises, heute ein Stadtteil von Leverkusen). Hier verbrachte er seine Kinder- und Jugendjahre. Er gehört als Achtzehnjähriger zu den Mitbegründern einer »Bergischen Spielgemeinschaft« und leitete diese. Aktiv war er auch in der Wandervogelbewegung, wo er Ortsgruppenleiter war. In Opladen traf er sich auch mit anderen Persönlichkeiten in einem Kreis, dem Leser von Carl von Ossietzkys »Weltbühne« angehörten. An den Universitäten Köln und Bonn belegte er Studiengänge in Philosophie, Germanistik und Medizin. Nebenher schrieb er für die »Opladener Zeitung« Theaterkritiken, Reiseberichte und Besprechungen wissenschaftlicher Werke. Von 1924 bis 1926 war er als »Kritiker für das Bonner Theater- und Musikwesen« bei der »Rheinischen Zeitung« in Köln tätig. Während seiner Bonner Studentenzeit verfasste er sein erstes Theaterstück. Das viel beachtete Antikriegsstück »U. Boot S 4« wurde 1928 mit großem Erfolg in Berlin aufgeführt. In dem folgenden Studentenroman »Barbaren« setzte er sich mit jenen Problemen auseinander, die junge Menschen nach dem schrecklichen Erleben des 1. Weltkrieges, den gesellschaftlichen Wirren danach und der Suche nach Orientierung hatten. Ein für Weisenborn sicherlich prägendes Erlebnis war das »Weltjugendtreffen« auf der Freusburg an der Sieg im Sommer 1927. In einem Zeitungsartikel darüber schreibt Weisenborn: »Die Friedensbewegung hat in der wehrfähigen Jugend erstaunlich tief gewirkt. In der ganzen Welt ist die Jugend aufgestanden. Eine Phalanx gegen Waffen, gegen schlächtende Politik. Hier sind sie zusammengekommen. Sie wollen innere Reinheit. Sie wollen endlich Klärung der sozialen Lage. Mit aller Energie, denn dies sind keine blassen Utopisten.« In dem Artikel zitiert Günther Weisenborn auch den Schriftsteller Fritz von Unruh , der dort am 1. August, des Jahrestages des Beginns des ersten Weltkrieges gesprochen hatte. Unruh, 1885 als Sohn eines preußischen Generals geboren, wurde als Kadett mit den Söhnen von Kaiser Wilhelm II. erzogen, schlug die Militärlaufbahn ein und nahm als Kriegsfreiwilliger am 1. Weltkrieg teil. Das Erlebnis des Mordens vor Verdun 1916 ließ ihn zu einem kämpferischen Pazifisten und zu einem bedeutenden Schriftsteller der Weimarer Republik werden. Nach dem Bericht Weisenborns sagte Unruh bei der Kundgebung auf der Freusburg: »Wir Deutsche haben auch heute noch keinen unbekannten Soldaten, sondern den bekannten Soldaten. Man muss wach sein, dass mit dem Schritt und dem Kommando und mit dem Sport nicht wieder aller Ungeist der vergangenen Zeit heraufzieht. Denkt an den Tod der zehn Millionen! Sie werden nicht aufhören zu mahnen!« Dass das Treffen auch auf die künstlerische Tätigkeit Weisenborns Einfluss ausübte, geht aus dem Entwurf eines Theaterstückes hervor, das Weisenborn konzipierte – jedoch nicht vollendete. Es ging um die beiden amerikanischen Gewerkschafter Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die von der US-Justiz wegen ihres Kampfes gegen das Kapital angeklagt und hingerichtet wurden. Im Bericht Weisenborns über das Treffen auf der Freusburg heißt es. »Unter »außerordentlicher Bewegung« wurde von diesem Jugendtreffen auch ein Telegramm an den Gouverneur von Massachusettes in den USA gesandt. »Dieser wurde aufgefordert, die Hinrichtung der beiden italienischen Anarchisten zu verhindern, weil die Schuldfrage nicht geklärt sei, so dass die Todesstrafe in keiner Weise gerechtfertigt sein kann.« Unwillkürlich muss man heute daran denken, dass noch immer in den USA kritische Menschen, die für Veränderungen eintreten, vor Gericht gezerrt, jahrelang unschuldig inhaftiert werden und mit dem Tode bedroht sind, wie Abu Mumia Jamal.

Günther Weisenborn – der sich immer mehr der linken Bewegung zugehörig fühlte und der auch von Linken als einer der ihren gesehen wurde – arbeitete mit Bertolt Brecht zusammen. Das Drama »Die Mutter« nach Maxim Gorki entstammt dieser Zusammenarbeit. In einem Brief des kommunistischen Schauspielers Wolfgang Langhoff aus Düsseldorf vom 23. Januar 1930 wird deutlich, dass Weisenborn als aktiver Mitkämpfer für eine sozialistische Gesellschaftsordnung betrachtet wird. 1929 hatte Weisenborn das Drama »SOS oder die Arbeiter von Jersey« geschrieben, auf das Langhoff in seinem Schreiben eingeht, weil er offenbar vor hatte das überarbeitete Stück aufzuführen: »Mit S. O. S. haben wir verdammtes Pech. Hätten wir die Bearbeitung rechtzeitig gehabt, so wäre das Stück schon draußen. … So wurde also das Stück zu meiner größten Wut verschoben. Aber bringen wollen wir es noch… Ich habe inzwischen in Ermanglung eines besseren Stückes die »Stempelbrüder« umgearbeitet und in Köln vor über 2000 Menschen mit ungeheurem politischen (im Original, M. D.) Erfolg in den Reichshallen aufgeführt. Zum Schluss wurde spontan die Internationale gesungen… Wann ist SOS fertig; Wir brauchen das Stück dringend. In Köln haben wir (Düsseldorfer, Kölnern, Essener Schauspieler) eine Oktobergruppe gegründet, mit der wir nach dem Riesenerfolg der ›Stempelbrüder‹ noch weitere Stücke. Einstudieren wollen. Linie KPD. Falls also das Schauspielhaus Ihr Stück zu spät ansetzt oder Ihre Bearbeitung sich zu sehr verzögert, möchte ich Ihnen empfehlen, uns ruhig das Stück anzuvertrauen.« Auch die Tatsache, dass sich Günther Weisenborn in Briefen zu Theaterfragen und der Haltung der SPD und der KPD zu diesem Kulturthema befasst, belegt dass er sich – als Schriftsteller und politischer Mensch – als der Linken zugehörig betrachtete. Es war darum kein Wunder, dass Weisenborn – der am 26. Mai 1932 Mitglied im deutschen PEN-Club geworden war – ein rotes Tuch für rechte Kreise jeglicher Couleur war.

Dies wurde besonders deutlich als die Nazis an die Macht gehievt und sofort alles »jüdisch-bolschewistische« terrorisiert wurde. Weisenborn, der schon Ende der zwanziger Jahre in Argentinien als Postreiter und Farmer gelebt hatte, ging unter dem Eindruck des faschistischen Terrors in Deutschland in die USA, wo er sich in New York als Lokalreporter durchschlug. 1937 kehrte er dann aber wieder nach Deutschland zurück. Die Tatsache, das Weisenborn freiwillig aus dem Ausland ins faschistische Deutschland zurückkehrte und dort auch arbeitete, machte ihn für viele suspekt – bis in die Gegenwart.

Weisenborn mit Hut, 1937.

Als in Leverkusen 1994 über den Bürgerantrag für eine Ehrung des Schriftstellers in der Presse berichtet wurde, fühlte sich ein Bürger bemüßigt, dagegen zu polemisieren. Man müsse die »Hintergründe ausloten«. Und die sahen dann so aus: »Vor, im und nach dem ›Dritten Reich‹ gab es profitorientierte Wendehälse, die man eigentlich nicht als ›hehre Antifaschisten‹ ehren sollte.« Weisenborn – ein Wendehals? Diese Charakterisierung muss energisch zurück gewiesen werden. Aus einem Brief Weisenborns an Johannes R. Becher vom 22. Juni 1945 geht hervor, wie er mit großer Ehrlichkeit sich mühte, Rechenschaft über sein Leben im Nazideutschland abzulegen. Es heißt dort: »Mein Verhalten war wie folgt: 1933 teils Verbot, teils Verbrennung meiner bisherigen Arbeiten. Bis 1935 tiefste Depression, äußerste Not und Flucht ins Private. 1935 durch deinen Auftrag (Weisenborn hatte im Oktober 1934 Johannes R. Becher in Prag getroffen, der ihn anregte »Auge und Ohr« zu sein, Material zu sammeln und dann einen großen Berichtsroman zu schreiben. M. D.) und durch die Wiederbegegnung mit der herrlichen Genossin Marta Husemann und deren heldenhaften Mann Walter Husemann Rückkehr zu ›uns‹. 1937 Reise nach USA (Emigrationsversuch). Nach der Rückkehr zögernd Beginn der illegalen Arbeit mit Harro Schulze-Boysen und den beide Husemanns. Es blieb bis 1940 bei gelegentlicher und schwächlicher Mitarbeit. Von da ab entschlossenere und regelmäßige Arbeit«. Diese illegale Arbeit führte Weisenborn in jener Widerstandsorganisation aus, die die Nazis als »Rote Kapelle« bezeichneten und in der Antifaschisten unterschiedlichster Herkunft gegen die Nazis und ihren verbrecherischen Krieg kämpften. Im Jahre 1942 wurde er gemeinsam mit 600 Gesinnungsgenossen verhaftet und vom Reichskriegsgericht verurteilt und ins Zuchthaus Luckau eingeliefert (wo ihn 1945 die Rote Armee befreite). Weisenborn hatte in der Zeit bis zu seiner Verhaftung unter Pseudonym mehrere Veröffentlichungen (Bücher, Dramen) geschaffen, die auch noch in der Zeit finsterer Barbarei, den Geist des Humanismus vertraten. Welche Kämpfe mögen sich in Weisenborns Gedanken damals abgespielt haben? Er, der aus der Emigration heimgekehrt war, weil er »ein deutscher Dichter sein« wollte, der sich als Sozialist verstand? Welche Probleme der Existenzsicherung mögen ihn damals bewegt haben? Mit Fug und Recht wird man feststellen dürfen, Weisenborn fand seinen humanistischen Weg, die Erfahrung Nazideutschland wurde prägend für sein weiteres Wirken. Dies sowohl als antifaschistischer Bürgermeister nach der Befreiung vom Faschismus in Luckau, wie als Theatermann, der gemeinsam mit Karl Heinz Martin das Hebbel-Theater in Berlin gründete oder als Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Autoren. Und nicht unerwähnt bleiben soll, dass er gemeinsam mit dem Zeichner Herbert Sandberg die Zeitschrift »Ulenspiegel« herausgab, die mit Satire gegen weiterbestehende und neu sichtbar werdende reaktionäre Denk- und Verhaltensweise zu Felde zog.

Mit seinem Drama »Die Illegalen« – dessen Entstehungsgeschichte bis in Weisenborns Haftzeit hineinreichte – setzte er den antifaschistischen Widerstandskämpfern ein Denkmal. 1946 fanden mehr 350 Aufführungen an verschiedenen Städten statt und 5 Rundfunksender produzierten es als Hörspiel. Es war damals ein wichtiger Beitrag, dem deutschen Volke und insbesondere seiner Jugend die Taten der Antifaschisten bekannt zumachen; war ein wichtiger Beitrag, Menschen eine humanistische Orientierung zu geben. Auch sein Buch »Memorial«, in dem er persönliche Hafterlebnisse mit Reflexionen seines früheren Erlebens verband, trug wesentlich mit dazu bei.

Vom 4.-8. Oktober 1947 gehört Weisenborn – der in den Jahren auch öfters seine rheinisch-bergische Heimat besucht und wo sein Vater Carl in Opladen Ratsmitglied für die FDP wird – zu den Teilnehmern am Ersten Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin. Dort wird u. a. das Wirken deutscher Schriftsteller in der Emigration gewürdigt, vor der Gefahr des Wiederauflebens des Nazismus gewarnt und gefordert, für die Einheit Deutschlands zu kämpfen. Günther Weisenborn war bestrebt, dieses umsetzen zu helfen – wie sein späteres Wirken eindrucksvoll belegt.

Man sollte meinen, aktive Antifaschisten, Menschen, die auf eine humanistische Veränderung der Gesellschaft hinarbeiteten, hätten von der – sich immer mehr etablierenden – Politik Unterstützung erfahren. Offenbar schon in den Fängen des beginnenden »Kalten Krieges« verwickelt, wird in einem Brief des Vorsitzenden der SPD Berlin – einer Partei, die ja eigener Aussagen nach fürs Verändern, ja für den »Sozialismus« war – Kurt Matthik machte deutlich, dass dies nicht so war. Da warnt der Berliner Landesvorsitzende vor Weisenborn, den er als der »SED ideenmässig nahe stehend« beschreibt, er sei Mitarbeiter von SED-Blättern und es »steht zu erwarten, daß Günther Weisenborn… eine angeblich abseits jeder parteipolitischen Bindung stehende Kommission schaffen soll, wie sie die SED häufig in neutraler Tarnung vornimmt«. Der Chef der Berliner SPD hatte zuvor auch Weisenborns Aktivitäten in der »Roten Kapelle« angesprochen. »Die Richtung der Widerstandsbewegung, der er angehörte, war nicht parteipolitisch eingestellt, sondern umfaßte eine intellektuellen Kreis, der antinazistisch eingestellt war, vielleicht auch einige Kommunisten einbezog. Über die Beteiligung von Sozialdemokraten in diesem Rahmen habe ich nichts gehört«. Man sollte festhalten, der Sozialdemokrat, der sich aufspielt den Schriftsteller antikommunistisch bei SPD-Parteivorstand an zu schwärzen, weiß nicht dass Sozialdemokraten in der »Roten Kapelle« aktiv waren. Das äußerte er zu der Zeit, als in der sozialdemokratischen Politik der Name Adolf Grimme in vielen Bereichen genannt wurde, Da war die Rede davon, dass der letzte Preußische Kultusminister (ab 1930) für das gleiche Amt des Landes Niedersachsen vorgesehen war und das Adolf Grimme beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) ein führende Rolle spielen sollte (und dann auch tat). Gemeinsam mit Weisenborn war dann dieser Sozialdemokrat bemüht, seinen und seiner Mitangeklagten Nazi-Richter in der Bundesrepublik vors Gericht zu bringen. Der ehemalige »Generalrichter« Manfred Roeder – der im niedersächsischen Landtagswahlkampf für die rechtsextreme SRP (»Sozialistische Reichspartei«) agitierte – wird von Grimme so charakterisiert: »Roeder war einer der Hauptvertreter einer Schreckensjustiz. Welche pflichtgemäß die Grundlagen der abendländischen Rechtsordnung mit Füßen trat. Roeder gehörte zu jenen Figuren, die den Krieg verlängern wollten, um das Leben Hitlers zu retten, und sei es auf Kosten der geopferten Soldaten. Roeder hatte die Aufgabe, mit Hilfe einiger Paragraphen Hitlers alle jene zu vernichten, die eine Verkürzung des Krieges anstrebten. … Roeder war in seinem Eifer derart brauchbar in der schrecklichen Zeit der Rechtlosigkeit, dass er in kurzer Zeit zum Generalrichter der deutschen Luftwaffe avancierte, eine seltene Karriere, die nur durch die außerordentlichen Verdienste dieses Menschen um die furchtbare Justiz des Naziregimes zu erklären ist.« Grimmes und Weisenborns jahrelanges Bemühen hatten keinen Erfolg . Im Gegenteil: Wie zum Hohn antifaschistischen Widerstandskämpfern gegenüber war 1972 noch im Telefonbuch Hessen-Süd ein Eintrag zu lesen: Roeder Manfred Dr. Generalrichter a. D.

Während dieser »furchtbare Jurist« seine dicke Pension verleben konnte, musste Günther Weisenborn noch kurz vor seinem Lebensende gegen die immer wieder erhobene Diffamierung der Widerstandskämpfer als »Landesverräter« kämpfen. Bereits im Dezember 1951 war in dem Organ »Burschenschaftliche Blätter« – welches an Universitäten und Hochschule kursierte – zu lesen gewesen: »Wer das Deutschland Hitlers bekämpfte, bevor der sowjetische Moloch zerschlagen war, der beging damit – gewollt oder ungewollt – Verrat an Europa, indem er sich zum Handlanger der Sowjets erniedrigte. Das gilt sowohl für unsere westlichen Gegner im Zweiten Weltkrieg als auch für die Männer des 20. Juli.«

1953 war anlässlich der Herausgabe des »Lautlosen Aufstand« – der erste bedeutenden Bericht über die deutsche Widerstandsbewegung – ihm der Vorwurf gemacht worden, die »Sache des Ostens« zu betreiben. Und in einem Rundschreiben der »Gruppe sozialistischer Verleger und Buchhändler« wird über das Buch als eine Arbeit über das »Dritte Reich« geurteilt, »unter der heute noch viele Deutsche jenseits des eisernen Vorhangs zu leiden haben.«(!?)

Nicht nur in rechtsradikale Blättern wurde der Vorwurf des Landesverrats erhoben, auch in der »parteifreien Wochenzeitung für Neue Ordnung«, die nach eigener Werbung »unabhängig und klar« schreibt und den Namen »Der Fortschritt« trug, wird am 15. Mai 1953 über den »humanitären Edelkommunisten« geschrieben, dass Weisenborn »bei der Darstellung der berüchtigten ›Roten Kapelle‹ den Landesverrätern dieser Sowjetspionage-Organisation eine Darstellung widmet, die mehr oder weniger auf eine Begründung für die Errichtung eines Denkmals durch die offiziellen Bundesbehörden hinausläuft«. In Springers »Welt am Sonntag« (29. März 1953) über das Buch geurteilt, das Werk habe »wertvolle Dokumente mit fragwürdigem Kommentar« – Im »Monat« 58/1953 wendet sich Prof. Walter Hofer gegen die »Geschichtsschreibung im Vakuum«, worauf im Monat darauf in einer langen Leserzuschrift Weisenborn vorgeworfen wird, er missbrauche die Märtyrer. Günther Weisenborn versuchte sowohl durch Zuschriften wie in Vorträgen dieser Stimmungsmache entgegen zu treten. Beim Mittwochsgespräch in der Bahnhofsbuchhandlung Ludwig in Köln (sein Verleger und Freund Ernst Rowohlt war ebenfalls dabei) setzte er sich im Juli 1953 mit der Thematik auseinander und erklärte, dass man ständig von Propagandamanövern umgeben sei, mit denen man sich abzufinden hätte, »aber nicht einverstanden sein dürften.« Er wies angesichts dessen, »das Gesetze nicht nur gebrochen, sondern auch gebeugt (würden)« auf die Erfahrungen des zivilen Ungehorsam hin und betonte, dass die Widerstandsbewegung heute weithin im Volk nicht genügend gewürdigt werde, »man dürfe den unbekannten Widerstandskämpfer nicht vergessen.«

Auf alle diese Vorwürfe hatte Weisenborn im »Lautlosen Aufstand« erklärt: »Heute, nachdem die Geschichte gesprochen hat und die eiserne Summe gezogen worden ist, sollte klar sein, auf welcher Seite Landesverrat begangen wurde. Wer sein Volk soldatisch in das schrecklichste Unheil seiner Geschichte schickte und belog, beging Landesverrat. Wer die ehrlichen und betrogenen Männer unseres Volkes in Uniformen steckte und sie über Grenzen jagte, um andere Völker mit Krieg zu überwinden, der beging Verrat an unserem Volk. Wer sein Volk gegen diesen Wahnsinn zu verteidigen suchte, kämpfte gegen die Landesverräter. Und Hitler war ein Landesverräter. Nur die beschränktesten Köpfe plappern heute noch, nach dem die Ergebnisse vorliegen, seine Phrasen nach.«

Es war klar, dass solche Positionen Reaktionäre aller Schattierungen und die offizielle Politik des Adenauer-Staates aufheulen ließ, zumal der Schriftsteller sich auch aktiv in andere Bereiche der Politik und Kultur einmischte – auch um, wie er es einmal formulierte, »Menschen zu bewegen«.

Günther Weisenborn gehörte im Juli 1948 zu den vom Internationalen PEN-Club vorgeschlagenen Schriftstellern, die die Sektion in Deutschland gründete. Zuvor war er am 3. November 1945 an der Gründung des »Schutzverbandes Deutscher Autoren« beteiligt, der wertvolle Vorbereitungen für das »Parlament des Geistes« – des ersten deutschen Schriftstellerkongress – leistete. An diesem Kongress – der vom 4. bis 8. Oktober 1947 in Berlin stattfindet, nimmt Günther Weisenborn teil. Der Schriftsteller schrieb Theaterstücke, die immer weniger in der Bundesrepublik, dafür in der DDR auf die Bühnenbretter kamen. Er trat – anerkennend dass es sich immer mehr abzeichnete, dass zwei deutsche Staaten nebeneinander (und im Kalten Krieg gegeneinander) bestehen würden, unermüdlich für ein einheitliches demokratisches Deutschland ein. So ist in der »Stimme des Friedens« Nr. 3/1954 eine Stellungnahme Weisenborns zur Berliner Viererkonferenz abgedruckt. In ihr erklärt er u. a. : »Eine Schicksalsstunde naht, die für lange über unser Deutschland entscheidet. Wir sind der beiden Klein-Deutschlands überdrüssig mit ihren gutmeinenden Armseligkeiten.« In der Schriftstellervereinigung PEN setzte er sich ebenfalls vehement für die Einheit Deutschlands ein. Am 24. Oktober 1951 kam es bei der PEN-Tagung in Düsseldorf zum Bruch. Im »Solinger Tageblatt« vom 30. 10. 1951 erfuhr der Leser unter der Überschrift »Die zerbrochene PEN-Brücke«, dass acht ost- und zwölf westdeutsche Schriftsteller sich nicht einigen konnten. »In der Mitte drei Mann (Hanns H. Jahnn, Johannes Tralow, Günther Weisenborn, M. D.) denen zwei PEN-Zentren als eine Gewissensnot und ein Versagen vor der geschichtlichen Verantwortung erschien. Sie zeigten sich bemüht Mittel und Wege zu der Verständigung zwischen dem scharfen politischen Ostpol und dem Feld der Westdeutschen zu finden.« War hier die immer sichtbarer werdende Spaltung Deutschlands – die ja von den Herrschenden Kreises in Bonn nicht verhindert, sondern bewusst gewollt wurde – das Hauptmotiv der Spannungen im PEN, so wirkte aber auch die Politik der DDR hinein. Weisenborn war – u. a. wegen des sich verschärfenden Kalten Krieges und der Reaktion der SED in der Kulturpolitik der DDR darauf, wie später wegen seines Einsatzes für den »kaltgestellten« Leiter des Aufbau-Verlages, Walter Janka – durchaus in manchen Fragen mit der DDR-Politik »über Kreuz«. Und auch bei der PEN-Tagung wurde dies deutlich. Weisenborn bat in einem Brief Johannes R. Becher zur Aufgabe seines Präsidiumsamtes, da er wegen seiner exponierten politischen Stellung in der DDR (Kultusminister) den Anlass für die Polarisierung im deutschen PEN darstelle. Er schlug vor, statt Becher sollte ein anderer DDR-Schriftsteller Mitglied im deutschen PEN-Präsidium werden. Da eine Reaktion ausblieb, trat Weisenborn von seinem Amt als stellvertretender Vorsitzender des PEN zurück. Doch er wollte zugleich nicht die Bande der Gemeinsamkeiten der deutschen Schriftsteller zerreißen lassen. Er wurde nach der Spaltung Mitglied in beiden PEN-Zentren.

Immer wieder tritt er in der Öffentlichkeit für vernünftige Handlungen im getrennten Deutschland ein. In einem eindringlichen Appell wendet er sich anlässlich eines »Berliner Kulturgesprächs« in Berlin im Mai 1955 an die Menschen, sich mit ganzer Kraft für die Wiedervereinigung einzusetzen. »Es ist Zeit, das wir Deutschen selbst etwas für die Einheit tun, diese Verpflichtung kann uns niemand abnehmen.« Und nicht nur in seinem Heimatland bemüht er sich um vernünftigen Beziehungen., auch international ist er aktiv. Reisen in viele Länder belegen dies – seine Neugier andere Menschen und Kulturen kennen zu lernen. Getreu seiner Devise, dass miteinander reden besser ist, als über andere hetzen. Als einer der ersten Westdeutschen bereist Günther Weisenborn 1956 die Volksrepublik China, wo er u. a. auch von Mao Tse-tung empfangen wird, der sich ausserordnetlich interessiert für die kulturelle und konkret – politische Fragen zeigte. Bereits im April 1947 war Weisenborn u. a. neben Wolfgang Langhoff, Stephan Hermlin und Anna Seghers Teilnehmer der ersten Schriftstellerdelegation nach dem Krieg in die Sowjetunion. Die Eindrücke schilderte Weisenborn in Artikel, ebenso die der China-Reise. In der »Welt« und anderen Presseorganen wurde er darauf angegriffen. Doch nicht nur wegen dieser Reise geriet Weisenborn ins Kreuzfeuer. Reaktionäre aller Schattierungen passte die ganz Richtung nicht. Weisenborn äußerte sich zu vielen Fragen der Kultur. Ob es um Fragen des Films (Weisenborn schrieb die Drehbücher für »Der 20. Juli« und »Dreigroschenoper«), um die Kulturförderung, ob es um Zensurmaßnahmen oder die Diskriminierung von Homosexuellen ging. Weisenborn war zur Stelle und erhob seine Stimme. In Hamburg, wo er als Dramaturg wirkte, unterstützte er die »Geschwister Scholl-Jugend« – ein antifaschistischer Jugendzusammenschluss. Und in Hamburg fand auch das Gespräch mit dem Vorstand der IG Metall statt, in welchem Überlegungen Weisenborn besprochen wurden, die Gewerkschaften aktiver auch kulturellen Gebiet aktiv werden zu lassen.

Doch nicht nur mit Organisationen der Arbeiterbewegung suchte der Schriftsteller Kontakt. Menschen, die wegen ihrer politischen Einstellung diskriminiert und verfolgt wurden, konnten mit der Solidarität des Schriftstellers rechnen. Als unter Bruch der Immunität der nordrhein-westfälische KPD- Landtagsabgeordnete Josef Angenfort aus Düsseldorf im März 1953 verhaftet und später zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, weil er als FDJ-Leiter gegen die Remilitarisierung gekämpft hatte, unterstützte Weisenborn die Frau des Inhaftierten mit einer Geldspende und forderte im April 1957 in einer Erklärung »nach den Jahren der besonderen Wirrnis« ein »Großreinemachen im Strafvollzug« und betonte, dass eine »gründliche Amnestie (für politisch Inhaftierte, M. D.) unbedingt notwendig« sei.

Auch die rechtsextremen Schändungen von Synagogen von Düsseldorf (16. 01. 1959) und Köln (24. 12. 1959) und die Versuche der Regierungen in Bonn und Düsseldorf die empörten ausländischen Politiker mit dem Hinweis still zustellen, die Schändungen seinen ein Werk des »Ostens« und der illegalen KPD, veranlasste Günther Weisenborn zu erklären: »Sie (die antisemitischen Ausschreitungen, M. D.) kommen Arm in Arm mit anderen düsteren Erscheinungen. Sie sind Symptom und Bestandteil einer Restaurierung jener alten Kräfte, die uns zweimal ins Unheil dirigierten. Dazu gehören: die moralische Verwahrlosung durch ›Interessen‹, der Aufbau breiter Hassfronten, das riesige Aufrüstungsgeschäft, Oberländer (Vertriebenenminmister von 1953 – 1960, der wegen seiner Nazi-Verbrechen zum Rücktritt gezwungen wurde, M. D.). Einbau zahlreicher Nazis in öffentliche Ämter und Machtpositionen, Verschweigen der deutschen Widerstandsbewegung des deutschen Volkes gegen das dritte Reich in Schulen und der Öffentlichkeit. Vor dem Unheil kommt das Geschäft, und das Geschäft wandert nach rechts und rechts wartet der Krieg… Es fehlt ein Aufruf zum öffentlichen Boykott antisemitischer Literatur. Es fehlt eine sofortige und scharfe Anwendung von Strafen für unbelehrbare Nazis. … Das, was man heute die ›unbewältigte Vergangenheit‹ nennt, muss endlich bewältigt werden, sonst bewältigt sie uns wieder.« Auf einer Tagung des nordrhein-westfälischen Volksbühnenvereins in Wuppertal (April 1959) stellt er in einer Rede fest. Dass »dem Wirtschaftswunder kein Kulturwunder gefolgt« sei. Erneut nimmt die Entwicklung der Bundesrepublik aufs Korn und setzt sich mit einer »kleinen Gruppe von Tabus, gegen die man nicht verstoßen darf« auseinander, die eine dringend notwendige innere Selbstreinigung verhinderte. Unter wahren Lawinen von Persilscheinen sei die Schuld verschüttet worden, wenn trotzdem einer den Dingen auf den Grund gehen würde, werden ihm »drohende Tabus« entgegengehalten.

»Man spricht nicht den Antisemitismus, man spricht nicht über den wieder auflebenden Nazismus, es gibt keine Richter die Unrecht gesprochen haben. Die Kirche hat immer recht. Man nimmt das Wort Revolution nicht in den Mund. Wer links ist, ist Kommunist. Wer rechts steht, ist ein nationalbewusster Deutscher. Man kritisiert nicht amerikanische Zustände. Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen wurden stets von Kindern umgestürzt. Die Verseuchung unserer Jugend durch Pistolenfilme und Kriegsliteratur ist nicht so schlimm. Wer über Übelstände spricht, beschmutzt unser eigenes Nest.«

Als die Bundesregierung im Oktober 1959 die VVN verbieten lassen wollte, fanden sich demokratisch gesinnte Bürger der Bundesrepublik zusammen um ein Verteidigungskomitee zu organisieren. Weisenborn war auch hier dabei. Er erklärte seine Solidarität mit der VVN – machte aber zu gleich deutlich, das er die Auflösung der VVN in der DDR (wo diese in ein »Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer« umgebildet worden war) ebenfalls nicht akzeptieren könne. »Es ist selbstverständlich, dass ich mich gegen ein Verbot der VVN wende. Die VVN ist die größte Organisation der Widerstandskämpfer und darf nicht verboten werden., allein schon wegen ihres hohen Ansehens in Europa.« Neben diesem demokratischen Kampf – in dem Weisenborn später noch in den Aktionen gegen die von der Bundesregierung angestrebten Notstandsgesetzgebung aktiv war – galt sein besonderes Augenmerk dem Kampf gegen den Atomtod. Wie in seiner anderen Theaterstücke thematisierte er Probleme, die die Menschheit betrafen. So hatte er ein Stück über die Atombombenversuche in der Wüste von Nevada geschrieben, was, wie es in einem Zeitungsbericht vom Juli 1962 hieß, »noch immer auf einen mutigen Regisseur wartet.«

Seine »Göttinger Kantate« wurde mit großem Beifall uraufgeführt, jedoch wurde dieses Stück – welches die Thematik der Kritik von 18 Atomwissenschaftler (Göttinger Appell vom April 1957) an der Atomrüstungspolitik der Bundesregierung behandelt – danach öffentlich so gut wie nicht aufgeführt. Der Schriftsteller – der am 30. März 1958 zu den Mitbegründern der »Aktionsgemeinschaft gegen die atomare Rüstung« gehörte – gibt in einem szenischen Disput Meinung von Wissenschaftler und Politikern wieder. »Volkes Stimme« wird von einem Chor dargestellt. Die Uraufführung fand beim SPD-Parteitag vom 16. – 23. Mai 1958 in Stuttgart statt. Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer fand damals große Worte und versprach die Unterstützung des Kampfes gegen den Atomtod. »Ich möchte hier ganz einfach sagen: Wir sind seit langen nicht für eine gute Sache und in so guter Gesellschaft auf die Straße gegangen.« Das Parteitagsprotokoll vermerkt »Bravo« und »langanhaltender Beifall«. Und nach der abendlichen Aufführung der »Kantate« schilderte der Delegierte Harry Bosse aus Hamm, dass die »Göttinger Kantate« eindringlich vor Augen geführt habe, welche Gefahren drohen.

Doch die beklatschte »gute Sache« fand nicht lange die Unterstützung der SPD-Führung. Im März 1958 endete eine leidenschaftliche ›Atomdebatte‹ im Bundestag mit der Resolution der CDU/CSU, "die Bundeswehr mit den modernsten Waffen auszurüsten, wenn sich dies politisch und strategisch als notwendig erweisen sollte". Von der SPD kam kein erkennbarer Widerstand, im Gegenteil. Nach dem am 30. Juli 1956 das Bundesverfassungsgericht eine Volksbefragung über die atomare Ausrüstung der Bundeswehr verboten hatte, blockte der SPD-Parteivorstand »als verfassungstreue und den Staat mittragende Säule« am 31. Juli alle Antiatom-Initiativen ab. Etwas mehr als zwei Jahre später hielt dann Herbert Wehner am 30. Juni 1960 eine Grundsatzrede im Bundestag. Man fiel der Antiatombewegung in den Rücken. Man entschied sich für den Beitrag der Bundeswehr im Bündnis – wenn's den sein muss mit der »Weiterentwicklung der Artillerie« – wie einst Adenauer die Atomwaffen bezeichnete. Angesichts heutiger weltweiter Einsätze – die ja vor vielen Jahren unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung und im Widerspruch zum Grundgesetz begonnen wurden – wird man feststellen müssen – bei der SPD war vieles schon mal da.

Zurück zu Günther Weisenborn, der den herrschenden Kreisen wegen seiner oppositionellen Haltung immer suspekter wurde. Jede irgendwie zur Hetze nutzende Information wurde genutzt um den Schriftsteller runter zu machen. Der bekam, wie jeder anderer Autor, dessen Stücke in der DDR gespielt wurden, Tantiemen »nach einem Abkommen zwischen staatlichen Ost- und Weststellen« wie es in einer Erklärung des Schriftstellers heiß, »offen und gesetzlich in Westwährung eins zu eins an zahlreiche westdeutsche Schriftsteller, Komponisten, Wissenschaftler und Übersetzer, auch an mich« gezahlt. Die Erwiderung war notwendig geworden, weil in der Bild-Zeitung in großen Lettern getitelt worden war: »Wie lange nehmen Sie noch Ulbrichts Geld, Günther Weisenborn?« Ein ominöses Komitee »Rettet die Freiheit« entwickelte Hetzkampagnen gegen jeden, der in Opposition zur Politik der Adenauer-Regierung stand. In einer Schmähschrift wird Günther Weisenborn neben vielen anderen genannt und als Flüchtling in die »heimatlose Linke« bezeichnet, der dieses »Platznehmen … als Individualismus verklären würde.« Trotz solcher und noch schlimmere Anfeindungen ließ sich Weisenborn nicht von seiner tiefen humanistischen Orientierung abbringen. Bei einer Rede über die Aufgaben der Schriftsteller, die er Anfang der 50er Jahre in Paris gehalten hatte, wurde dieser konsequente Weg besonders deutlich: »Nichts auf der Erde rechtfertigt einen Krieg. Ein feierliches internationales Abkommen sollte geschaffen werden, dass besagt: Jede Regierung, die Truppen zu Wasser, zu Lande und in der Luft über die Grenzen in ein anderes Land schickt, soll im eigenen Land automatisch rechtlos und geächtet sein. Jeder Eid ihr gegenüber wird ungültig!« Dieser engagierte Menschenfreund – über dessen schriftstellerisches Wirken, über seine vielfältigen Aktivitäten im künstlerischen Bereich ausführliche Bücher geschrieben werden könnten – war bis in die letzten Lebensjahre hinein beseelt, den dahingegangenen Antifaschisten Chronist und heutigen Menschen Mahner zu sein. In einem Beitrag zum 35. Jahrestag der Errichtung der faschistischen Diktatur äußert Weisenborn vielfältige Gedanken aus der Geschichte, verbunden mit persönlichen Aspekten und versucht in Thesen junge Menschen zum Handeln für eine humane gesellschaftliche Entwicklung anzuregen. Dabei sind seine Anregungen durchaus auch heute mehr als aktuell, wie die in seiner These von »lernende Anwendung der Vernunft«. Wichtig sei »das Denken in Verlängerungen«. »Prüft« so fährt er fort »was die entsprechenden Partei vor 50-20-10 Jahren gefordert und abgelehnt hat, und wie sie in 10 oder 20 Jahren handeln kann. Das schafft ein klares Bewusstsein und schafft ein klares Auge für die Macht. Unsere Geschichte ist der beste Freund unseres Volkes, wenn es seine eigenen Fehler begreift und daraus Schlüsse zieht, um damit heute eine bessere Zukunft vorzubereiten. Wir haben stattdessen Lawinen von militaristischer und Naziliteratur, und wir eine ständig größer werdende Naziwelle, zu viele Schulen, die konservativ geführt werden, Universitäten, die die alten Traditionen pflegen, und unsere jungen Soldaten lesen alte Naziliteratur, wie die Statistiken beweisen. Und die Verdummung fördernde Millionenhefte, kurz geradezu ein Reichtum an Gift, der in die Gehirne junger Menschen gefiltert wird. Deutlich sei gesagt, unsere Regierung irrt sich, wenn sie die NPD nicht als gefährlich anerkennt. Ich warne vor den süßen Honigvokabeln der NPD, ich warne vor nationalen Kampfliedern aus den Gräbern und vor Goebbelsparolen, die nach Moder und Kapitulation riechen. Das ist alles bewiesen. Aber die nationalen Gefühlswogen unserer Massen sind unberechenbar. Diese unbewältigte Vergangenheit wird gefährliche Gegenwart. Dieses nicht entwickelte, unbewältigte Denken ist ein geradezu fruchtbarer Acker für den Neonazismus…« Er, dessen Sohn sich als Student der »Freien Universität« am 2. Juni 1967 an der Anti-Schahdemonstration in Berlin-West beteiligt hatte und dort von der Polizei (die auch den Studenten Benno Ohnesorg niederschoss und tötete) brutal niedergeknüppelt wurde, forderte die Jugend auf, gegen die herrschenden gesellschaftlichen Zustände aktiv zu werden. »Junge Menschen neigen zur Opposition. Unzufrieden wollten sie ihr Wählerkreuz für eine gesunde Opposition ausfüllen. Aber sie fanden keine. Sie fanden eine zynische Umwelt mit Repräsentationen, Traditionsverbänden, Landsmannschaften, eine korrupte, prunksüchtige Umwelt mit einer Sex-Industrie zu hohen Preisen, US-Kitsch- und Mord-Filmen, dazu einen sterilen Obrigkeitsstaat mit alten Tabus und mit leerem Wiedervereinigungsgeschwätz, das wie zu Gebetsmühlen automatisch und seelenlos weiterlief.«

Nach dieser Zustandsbeschreibung setzt sich Weisenborn vehement für eine demokratische Aktion ein, in der die Zersplitterung der Linken überwunden wird, in der ein einheitliches »Nein« gesprochen werde.

»›Nein‹ gegen das Nazidenken. ›Nein‹ gegen Denkwiederholungen. ›Nein‹ gegen Verdunklungstrainer. Mit dem Kopf sollte man wählen! Studenten, Lehrende, Künstler, Industrietechniker, berufliche Frauen, Ärzte, Politiker, Gewerkschafter, Angestellte, Geistliche, Arbeiter, junge und alte Menschen, laßt uns eine große demokratische Opposition bilden, eine massierte Aktion, die für alle Menschen unser Leben lebenswerter macht und unser Land offen für die Welt.«

Mit der Feststellung. »Das ist meine Hoffnung« endet sein Wort an die Jugend und dem ist – leider – über 40 Jahre später nichts hinzuzufügen.

Manfred Demmer


Faksimile: Spurensuche - Titelseite.update 31.01.2013

Spurensuche – Der antifaschistische Schriftsteller Günther Weisenborn

 

Dieses Buch wurde 2004 von der Kulturvereinigung Leverkusen e. V. herausgegeben. Der Autor, Manfred Demmer, verstarb am 2. Dezember 2009.

Gestaltet wurde es von Marcel de Jong. Die Zeichnungen stammen von Konstantin Beckel. Leider ist die gedruckte Ausgabe lange vergriffen. Jetzt gibt es eine elektronische Fassung – großen Dank an Jürgen Schramm. [weiter lesen]