Jugendliche gucken auf das Bild eines Opfers
Von Manfred Demmer, stellv. Vorsitzender der Kulturvereinigung Leverkusen e.V., die den »Zug der Erinnerung« örtlich unterstützt.
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Zugbegleitmannschaft, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren!
Der antifaschistische Schriftsteller Günther Weisenborn, der seine Jugendjahre hier in Opladen verbrachte und oft von diesem Bahnhof aus, zu seinem  Studium an den Universitäten von Köln und Bonn fuhr, schrieb im Vorwort zu seinem Drama „Die Illegalen“:

»Wir Überlebende haben als Instrument der Toten die sehr konkrete Verpflichtung, Denkmäler für die Dahingegangenen in die Gegenwart zu setzen. Wir haben die Verpflichtung, ihre Taten unserem deutschen Volk und besonders einer Jugend bekanntzumachen« 

Mit diesem »Zug der Erinnerung« wird ein wichtiger Beitrag geleistet, ein bisher kaum beachteter Aspekt unserer Geschichte sichtbar zu machen und an die Opfer der Naziherrschaft zu erinnern.. Durch diesen »Zug der Erinnerung«  können nicht nur die historischen Fakten – jahrzehntelang unbeachtet – dargestellt werden, sondern es wird die Möglichkeit eröffnet, auch die Gegenwart einer Betrachtung zu unterziehen um damit auch in die Zukunft zu weisen.

TrailerLeider müssen wir uns mit aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen, die in ihrer Gewalttätigkeit gerade an diesem Bahnhof vor einigen Monaten sichtbar wurden. Nach der traditionellen Gedenkdemonstration für die Opfer der Pogromnacht von 1938 ging eine kleine Gruppe von Teilnehmern zu diesem Bahnhof, um von dort die Stadt zu verlassen. Sie wurden von einer Gruppe von ca. 20 Neonazis terrorisiert. Die Angegriffenen suchten Schutz vor Reizgas und Wurfgeschossen im Bahnhofskiosk. Nachdem die Kiosktür aus Sicherheitsglas geschlossen wurde, ließen die vermummten Neonazis von ihren Opfern ab. Laut damaligen Veröffentlichungen wurde bei dem Angriff auch eine Passantin durch einen Flaschenwurf schwer verletzt worden, so dass diese zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus gebracht wurde. Später gab es noch mindestens zwei weitere Übergriffe. Hierbei wurden auf der Lützenkirchener Straße Personen aus einer Kleingruppe von zehn Neonazis geschlagen, zu Boden gerissen und getreten. In einem weiteren Fall wurde ebenfalls noch eine Person angegriffen.

Aktuelle Bezüge ergeben sich auch aus jenen im Bereich von Bahnhof und anderen Stellen der Stadt feststellbaren Aktivitäten jener neonazistischen Gruppierung, die sich »Autonome Nationalisten« nennen. Diese halten an der nationalsozialistischen Ideologie fest und propagieren Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus. Die »Autonomen Nationalisten Wuppertal/Mettmann« sprechen deutlich aus, um was es geht: »Wir setzen uns dafür ein, alle relevanten Teile der Jugend und der Gesellschaft zu unterwandern und für unsere Zwecke zu instrumentalisieren. Es spielt keine Rolle welche Musik man hört, wie lang man seine Haare trägt oder welche Klamotten man anzieht.« Der bekannte Neonaziaktivist Alex Reitz, der innerhalb von 12 Monaten in Leverkusen – auch hier in der Bahnhofsgegend - drei Nazizusammenrottung organisierte, dabei jedoch auf entschiedenen Widerstand besonders auch junger Antifaschisten stieß - beschrieb diese Strategie: »Diese ‚Autonomen‘ kopieren den Stil und die Aufmachung der linken Strukturen und von linken bisher agitierten Jugendkulturen, dabei werden die bekannten Symbole und Outfits mit unseren Inhalten besetzt und in unserem Sinne interpretiert. ... Mittels dieses Auftretens besteht die Möglichkeit sozusagen unerkannt, da dem bekannten Bild des ‚Faschisten‘ entgegen laufend, in die bisher von gegnerischen Lagern beherrschte Gebiete vorzudringen, politisch und kulturell. Graffitis sprühen, unangepasst und ‚hip`sein können nicht nur die Antifatzkes, sondern auch wir, damit erreichen wir ein Klientel welches uns bis dato verschlossen geblieben ist.«

Diese Zusammenrottungen in Leverkusen waren klare geschichtsrevisionistische Aktionen, es ging um die Leugnung des Holocaust, es ging um die Huldigung des Kriegsverbrechers Rudolf Hess. Diese Geschichtsrevision ist seit Jahren nicht nur in Neonazikreisen festzustellen, auch an Stammtischen von guten Bürgern und bis in Kreise der angesehenen Gesellschaft hinein, wird zunehmende die Forderung erhoben, doch mit der Vergangenheitsbewältigung Schluss zu machen, und den deutschen Opfer sich mehr zuzuwenden. Besonders in der Debatte um jene »Preußisch Treuhand« die, die Durchsetzung von Eigentumsansprüchen von Bewohner der ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches, die nach dem von den deutschen Faschisten begonnenen und  dann verlorenen Zweiten Weltkrieg annektiert wurden und heute zu Polen und zur Tschechischen Republik gehören, zum Ziel gesetzt hat, wurde dies sichtbar. Ein führender Funktionär dieser Vertriebenenorganisation hat kommunalpolitische Funktionen in unserer Stadt.


Deportation mainfränkischer Juden
 Herr Shenkman mit einem Bild von sich als Kind im Zug der ERinnerung
Herbert Shenkman im "Zug der Erinnerung"
und als 19-Jähriger zur Zeit der Deportation

Es soll auch daran erinnert werden das am 6. Februar 2007 hier in Leverkusen die »Bürgerbewegung pro Nordrhein-Westfalen« kurz pro NRW gegründet wurde. Hervorgegangen ist pro NRW aus dem bereits 1996 gegründeten Verein pro Köln (e.V.)., die im Rat der Stadt Köln vertreten ist. Das Konzept der Vereinigungen pro Köln und pro NRW ist es, immer die Themen zu besetzen die vor Ort gerade aktuell erscheinen, und sie versuchen durch ihr Wirken auf lokaler Ebene eine Verankerung in der Bevölkerung zu erreichen. Im Moment wird die Kampagne gegen eine Großmoschee in Köln – Ehrenfeld dazu genutzt. Führender Kopf ist als Vorsitzender beider Vereine – also von pro Köln und pro NRW -  der in Burscheid wohnende Rechtsanwalt Markus Beisicht, der hier in Opladen als Anwalt tätig ist. Herr Oberbürgermeister Ernst Küchler fand bei seiner Gedenkansprache zum 9.November im vorigen Jahr dankenswerter Weise klare Worte gegen diese Bürgerbewegung – die vor einigen Tagen eine Flugblattaktion vor Leverkusener Schulen durchführte, wo gegen Menschen mit Migrationhintergrund Stimmung erzeugt wurde.

Ja, auch die Tatsache, das in unserer Nachbarstadt Leichlingen, die »Stolpersteine«, die der Kölner Künstler Günter Demnig zur Erinnerung an Naziopfer legt, von Karnevallisten abgekupfert wurden, um »Schmunzelsteine« für verdiente Jecke zu legen, wirft die Frage auf, ob diese geschmacklose Aktion nicht auch aus einem fragwürdigen Geschichts-Verständnis herrührt?

Und noch aus einem andren Grunde ist dieser Opladener Bahnhof geeignet, den »Zug der Erinnerung« zwei Tage zu beherbergen. Hier befand sich jenes Bahnausbesserungswerk, in welchem es in der Nazizeit zu (wenn auch vereinzelten) Widerstandsaktionen von Arbeiter gegen die Nazis kam und das vor einigen Jahren von jenem Bahnvorstand platt gemacht wurde, der jetzt von der Initiative »Zug der Erinnerung« horrende finanzielle Forderungen erhebt. Von dieser Stelle möchte ich mich dem Protest des Bezirksjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt (AWO-Niederhein) an die Bundeskanzlerin anschließen, worin es heißt, es verstärke sich »der Eindruck, dass die Bahn ganz gezielt versucht, die Initiative gegen das Vergessen durch horrende finanzielle Forderungen in den Ruin zu treiben. Und das anscheinend auch noch mit der Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums, dessen Vorgänger 'Reichsverkehrsministerium'...eng mit dem 'Referat IV B4 Adolf Eichmann' zusammen arbeitete.« Angesichts dieser skandalösen Haltung des Bahnvorstandes wäre es zu begrüßen, wenn jene Unternehmen, die in der Zeit des Faschismus von der Ausbeutung der Zwangsarbeiter profitierten, mit Spenden die verdienstvolle Initiative »Zug der Erinnerung« unterstützen würden.

Der »Zug der Erinnerung« bietet schließlich auch die Möglichkeit mit der Suche nach Kindern und Jugendlichen zu beginnen, die in Leverkusen Opfer der Nazis wurden. Dank der Mitteilung des Stadtarchivs Leverkusen wissen wir, dass drei Kinder von jüdischen Familien aus unserer Stadt deportiert wurden. Eines der Kinder war Günter Salomon. Er wurde am 27. Oktober 1941 mit seinen Eltern von der Kölner Straße  weg verhaftet und ins Ghetto nach Litzmannstadt verschleppt, wo er starb. Musste die Familie Salomon ihren  Todesweg von diesem Bahnsteig antreten? Was war mit  anderen Kindern?  Wurden auch andere Naziopfer von diesem Bahnhof aus in Gefängisse, Zuchthäuser und Konzentrationsläger transportiert? Gab es von diesem Bahnhof aus vielleicht auch Transporte jener Euthanasie-Opfer aus dem Krankenhaus in Langenfeld-Galkhausen? Und wie erging es den vielen Zwangsarbeitern, die im Reichsbahnausbesserungswerk schuften mussten und die von hier aus hin- und hertransportiert wurden?

Der »Zug der Erinnerung« ist herzlich willkommen in Leverkusen, der Initiative sei ein herzlicher Dank ausgesprochen.

Gute Fahrt in Richtung gegen Neonazismus und Völkerhass, Zug der Erinnerung!