Was kann man heute noch für die Menschheit tun?


Walther Schliephake - Selbstporträt Titelbild des Ausstellungsbegleitheftes
 
Von Manfred Demmer

Diese Frage stellte sich nach dem Schrecken des ersten imperialistischen Weltkrieges ein junger Mann aus Burscheid. Der Maler Walther Schliephake. Dort in der bergischen Stadt war er am 7.11.1888 geboren worden – und diese Heimatverbundenheit hielt bis zu seinem Tode. Das wird in einer kleinen – aber hochinteressanten – Ausstellung über diesen Maler unter dem Titel „Walther Schliephake – Leben und Wirken in schwieriger Zeit“ im Haus der Kunst in Burscheid – ebenso nach gezeichnet, wie die gesellschaftlichen Aktivitäten dieses der Arbeiterbewegung verbundenen Burscheider Bürgers. Den Ausstellungsmachern (die Paul Luchtenberg-Stiftung, die Stadt Burscheid und der Bergische Geschichtsverein, Abteilung Burscheid) muss für diese Präsentation Dank gesagt werden.

Walther Schliephakes Eltern unterhielten ein Maler- und Anstreichergeschäft in Burscheid. Der Junge war zeichnerisch begabt, erste Skizzen machte er mit 14 Jahren. In der Ausstellung sind mehrere Beispiele aus jenen Jahren zu sehen, die ihn als genauen Beobachter der abgezeichneten Objekte und wie guten handwerklichen Künstler auszeichnen. Walther Schliephake bekam eine Ausbildung an der Kunstgewerbe-und Handwerkerschule in Köln und begann dann ein Studium an der Kunsthochschule in München, bis er zur „Fahne“ gerufen wurde, um im Ersten Weltkrieg „für Kaiser, Volk und Vaterland“ an dem großen Gemetzel mitzumachen. Der Tod seines Bruders Wilhelm in den ersten Kriegstagen ließen den jungen Mann über den Sinn des Lebens nachdenken.

Er - der in Burscheid und Köln bis dahin als evangelischer Christ missionarisch Bibelspruchplakate verbreitet hatte - kam entwurzelt aus den Schützengräben zurück um das elterliche Malergeschäft zu übernehmen. Statt eines ersehnten Künstlerlebens arbeitete er nun als Kaufmann und Anstreicher in einer kleinen Gemeinde. In einem längeren Prozess , der um die Frage kreiste, was man heute noch für die Menschen tun könne, löste er sich vom Christentum und wandte sich der revolutionären Arbeiterbewegung zu, um mit und in ihr für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft zu kämpfen. Er wollte etwas für die Menschen tun.

Er wurde Mitglied der KPD und war bald ein führender Funktionär der Partei in Burscheid. In der Ausstellung sind Kopien der „Burscheider Dorfzeitung“, die vom „Ortsausschuss der Werktätigen Burscheid“ herausgegeben wurde und für die Walther Schliephake verantwortlich zeichnete, zu sehen. Beim Lesen der damaligen Texte wird man manche Formulierung finden, die man kritisch zu bewerten hat. Wie zum Beispiel jene Passagen, die die Sozialdemokratie als Zwillingsbruder der Nazis darstellen. Es wäre hier angebracht gewesen, heutigen Menschen die konkret historische Situation zu erläutern und die Tatsache zu vermelden, dass diese falsche „Sozialfaschismustheorie“ durch konkretes Handeln von an der Regierung und in der Gewerkschaftsadministration tätigen Sozialdemokraten gestützt wurde und dass die KPD später diese Politik revidiert hat.

Wer sich Zeit nimmt in die ausgestellten Texte der „Burscheider Dorfzeitung“ einzudringen, kann aber auch schon da feststellen: die Kommunisten um Walther Schliephake suchten Wege des gemeinsamen Widerstandes gegen den immer bedrohlicher werdenden Faschismus . Sie wandten sich auch an SA-Mitglieder um Klarheit in ihre Köpfe zu bringen, sie aufzuklären, wie sie belogen wurden und was sie von einem „Nationalen Sozialismus“ zu erwarten hätten. Auch fällt auf, das in dieser Veröffentlichung nicht nur „große Politik“ gemacht wird. Da erfährt u.a. in einem Bericht etwas über den Kampf der Eisenbahner für ihren Kollegen Max Klein, der nach 13 Jahren Kampf für die Interessen der Eisenbahner der Burscheider Bahnmeisterei „geschasst“ wurde. Hier wird deutlich, dass man eingebunden war in die Kämpfe der Arbeiterbewegung vor Ort und dass man das Ohr am Volke hatte. Vertieft wird dies noch durch die Tatsache, dass in dieser Dorfzeitung fiktive Gespräche zwischen „Wellem“ und „Kadel“ auf Platt geführt wurden, in denen mit Ironie und Humor aktuelle Geschehnisse kommentiert wurden und die Sichtweise und Symphatie Walther Schliephakes für eine sozialistische Gesellschaft zeigten. Schliephake, sah wie die damaligen Kommunisten insgesamt, aber auch wie manch bürgerlicher Intellektuelle, dies verwirklicht in Sowjetrussland.

Eine Studienreise 1929 in die Sowjetunion wird ihn in dieser Auffassung bestärkt haben. In der Ausgabe von Januar 1933 der „Burscheider Dorfzeitung“ wird von ihm eine Meldung der „New York Times“ vom 6.Dezember 1932 zitiert, wonach der Professor für öffentliches Gesundheitswesen an der Universität Michigan, Dr. John Sundwell erklärte, die glänzende gesundheitliche Lage, die er bei den russischen Kindern beobachtet habe, sei nur aus den gesundheitsfördernden Maßnahmen der Regierung zu erklären. Solche und ähnliche Meldungen untermauerten Schliephakes Überzeugung, dass das Sowjetsytem, dass der Kommunismus die richtige Antwort auf die Gebrechen des Kapitalismus sei – der in Deutschland immer mehr die Gestalt des Faschismus annahm. So tritt Schliephake für konkrete antifaschistische Aktionen ein und in der Dezember-Ausgabe 1932 findet sich unter der Überschrift „Kein Friede auf Erden!“ folgende Feststellung, deren Richtigkeit leider auch heute noch immer wieder unter Beweis gestellt wird: „Es ist ein Hohn, ein Betrug und eine Lüge vom Frieden auf Erden zu reden. Solange der Kapitalismus herrscht mit all seinen Gesetzen auf Betrug und der brutalen Gewalt, wird es Elend, Hunger und Krieg geben!

Dieser Krieg war auch sehr konkret, hatte doch in jenem Jahr der japanische Militarismus China überfallen und dort den Marionettenstaat Mandschuko errichtet. Clara Zetkin hatte am 8. März 1932 in der Moskauer „Prawda“ den Standpunkt der Kommunisten dazu so formuliert: „Das Todes-stöhnen Zehntausender chinesischer Werktätiger zeugt davon, wie nah und schrecklich dieses Weltgemetzel ist... Die japanischen Imperialisten handeln im vollen Einverständnis mit den Imperialisten aller kapitalistischen Länder. Sie alle sind von dem Wunsch beseelt, das große chinesische Land mit seinen Hunderten Millionen Einwohnern und seinen Naturreichtümern aus einer Halbkolonie in eine Kolonie zu verwandeln. Während sie aufrüsten und sich auf Kriege untereinander vorbereiten, warten sie nur auf den Moment, da entschieden wird, welchem Staat der fetteste Happen der chinesischen Beute zufallen wird. Unverfroren lügen die Imperialisten, daß die Ausbeutung der Naturreichtümer Chinas, mit anderen Worten: die Ausplünderung dieses Landes durch den Kapitalismus, eure Lebensbedingungen verbessern werde. Eure Löhne und euer Lebensniveau sinken bis zum Niveau des Kulis herab, falls euch die Krise noch nicht in die Reihen der Millionen Erwerbslosen geworfen hat. Ihr und eure Familien werdet mit eurem Blut den herannahenden zweiten imperialistischen Weltkrieg bezahlen müssen.Unter dem Vorwand der Schaffung „neutraler“ Zonen in China für die Lösung der zwischen ihnen bestehenden Widersprüche wollen die kapitalistischen Staaten militärische Stützpunkte an sich reißen. Sie denken daran, ganz Ostasien und den sowjetischen Fernen Osten zu erobern.

Wie Sie war auch Walther Schliephake ein entschiedener Gegner des sich andeutenden zweiten imperialistischen Weltkrieges. Wie Sie, die als Alterspräsidentin des Reichstages eine mutige Rede gegen die Nazis hielt, reihte sich der Burscheider Maler bei den Reichspräsidentenwahlen 1932 in die Reihen derjenigen ein, die unter der kommunistischen Losung: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt wählt den Krieg!“ den Faschisten den Kampf ansagten.

Trotz seiner Arbeit und seiner politischen Aktivitäten malte er nebenher weiter. Beeinflusst wurde sein Schaffen durch die 1919 in Düsseldorf entstandene Künstlervereinigung „Das junge Rheinland“, die neue Wege in der Kunst suchte und dem Pazifismus zugewandt war. Schliephake war es auch der 1922 seinen damals sechszehnjährigen Freund Carl Lauterbach (der ebenfalls aus Burscheid stammte und dem vor einiger Zeit dort ebenfalls eine Ausstellung gewidmet war, siehe NRhZ...)) in die progressive Künstlervereinigung einführte. Die künstlerischen Arbeiten Walther Schliephakes waren naturalistisch im Stile der neuen Sachlichkeit, wie es im Begleitheft zur Ausstellung heißt. Marie Luise Mettlach schreibt darin, dass er seine Themen aus dem eigenen Erleben, wie aus seiner Umgebung bezog: „Die traumatischen Erlebnisse aus dem ersten Weltkrieg fanden ebenso Form und Gestalt in Skizzen, Zeichnungen und Bildern, wie die Aufenthalte in KZ und Gefängnis. Immer wieder hat er sich selbst gemalt, und in zahlreichen Porträts, auch von Mitgliedern der Familie, bannte er seine humanistische Gesinnung auf die Leinwand. Aber auch die heimische Landschaft, Burscheider Häuser, das elterliche, von ihm weitergeführte Malergeschäft, waren ihm Thema. In Burscheid besonders bekannt ist das farbenfrohe Bild der Burscheider Kirmes. Auffallend oft verwendete Schliephake Buntstifte.“ Die Vielseitigkeit des Schaffens wird in der Ausstellung durch über sechzig Exponate des Kulturschaffenden unterstrichen. Darunter befinden sich auch jene Bilder, die an seine Haftzeiten im Faschismus erinnern.

Wie schon erwähnt war Walther Schliephake aktiver Funktionär der KPD, der 1929 in Rat der Stadt Burscheid gewählt worden war und sich für die Interessen der „kleinen Leute“ einsetzte. Als solcher war er den Nazis verhasst. Nach der Naziprovokation des Reichstagsbrandes vom 28.2.1933 wurde er - der bei der Kommunalwahl im März 1933 in der Rat der Stadt Burscheid gewählt wurden war und der trotz Naziterror an der Sitzung des Rates am 31.März teilnahm - von der Ortspolizei in „Schutzhaft“ genommen. Dagegen protestierte er am 8.Mai schriftlich bei der Anklagebehörde. So schrieb er u.a.:“ Gegen diese Maßnahme erhebe ich hiermit Beschwerde, da ich die Begründung meiner Haft nicht als gerechtfertigt anerkennen kann. Die Organisationen denen ich angehörte waren nicht verboten, es war also auch die Betätigung in diesen Organisationen nicht verboten. Gewaltakte habe ich keine ausgeführt oder geplant, wie als Begründung für die Verhaftung....angegeben wird.“

Am 5.Oktober 1933 wird gegen Walther Schliephake Anklage erhoben. Schliephake wurde wegen einer politischen Auseinandersetzung im Jahre 1930 (es ging um einen Streik bei einer Burscheider Firma und den Einsatz gegen dortige Streikbrecher) in einem längeren Prozess verwickelt und offenbar im Zusammenhang von den Nazis damit in das Konzentrationslager Kemna bei Wuppertal gebracht. In der Folgezeit stand er unter Beobachtung der Gestapo und wurde mehrfach in Haft genommen, so auch nach dem Attentat des Grafen Claus Graf Schenk von Stauffenberg vom 20.Juli 1944. So war er u.a. auch im August 1944 im Gefängnis Opladen inhaftiert.

Nach der Befreiung von Krieg und Faschismus wurde der Nazigegner – der seine künstlerischen Arbeiten auch wieder aufgenommen hatte - von der britischen Besatzung in die Gemeindever-tretung berufen und wirkte aktiv im Entnazifizierungsausschuss zur Überprüfung aller behördlichen Einrichtungen. Bei der ersten Wahl nach Kriegsende wurde er zwar nicht in den Rat der Stadt Burscheid gewählt, jedoch war er als sachkundiger Bürger sowohl im Entnazifizierungsausschuss, wie im Kultur- und Schulausschss tätig . Auch in der folgenden Legistaturperiode stellte er seine Kraft in den Dienst der Kultur-und Schularbeit. Dass von der Adenauer-Regierung forcierte und vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene KPD-Verbot ließen eine organisierte kommunistische Organisationsarbeit nicht mehr zu. Trotz wirkte Walther Schliephake weiter für eine Gesellschaft ohne soziale Ungerechtigkeiten, Faschismus und Krieg. In den fünfziger und sechziger Jahren war er aktiv in der VVN, wo er einige Jahre deren Vorsitzender im Kreis Rhein-Wupper war und die - nach seinem Tode am 28.Februar1968 – in der antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“ ehrende Worte für Walther Schliephake fand.

Ehrende Worte fanden bei der Eröffnung der Ausstellung sowohl der Bürgermeister der Stadt Burscheid, Hans Dieter Kahrl wie Rolf Engelhardt von der Paul Luchtenberg-Stiftung und des Bergischen Geschichtsvereins Burscheid. Zur Einführung hatte Susanne Bonenkamp, die Kulturreferentin des Rheinisch-Bergischen Kreises, in einem sehr persönlich gehaltenen Vortrag, die künstlerische Entwicklung Schliephakes dargestellt und dabei diese in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang gestellt.

Die Ausstellung schließt mit einem interessanten Projekt, welches Schülerinnen und Schüler einer Burscheider Realschule durchführten. Unter der Leitung ihrer Kunstlehrerin Christa Engstenberg begaben sie sich auf Spurensuche. Unter dem Motto „Seine Bilder – die heutige Ansicht“ gingen sie den Bildern Schliephakes nach und gestalteten in Zeichnungen und Fotos beeindruckende Collagen.

Im Rahmen der Präsentation wurde an einem Tag auch die Aktion „Schliephakes gesucht“ durchgeführt, in der Besitzer von Arbeiten des Künstlers – der für viele Burscheider Bürger Auftragsarbeiten durchführte - eingeladen wurden, diese mitzubringen oder von ihnen zu berichten. Dadurch soll die, durch einen Dauerleihgabevertrag 2007 zwischen dem Sohn des Künstlers, Wilhelm Schliephake und der Stadt Burscheid in deren Besitz gelangte, umfangreiche Sammlung komplettiert und ein Werkverzeichnis angelegt werden. Diese Aktion war erfolgreich, nun kann mit Hilfe der Experten des Rheinischen Museumsamtes des Landschaftsverbandes Rheinland und ehrenamtlichen Helfern des Bergischen Geschichtsvereins die Sammlung dokumentiert und archiviert werden.

Die sehenswerte Ausstellung war bis zum 31. Januar 2009 im Haus der Kunst zu sehen.

 

Der Beitrag ist auch in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) veröffentlicht
Bildquelle:  Titelbild des Ausstellungsbegleitheftes