Nicht nur Zu­stim­mung

Oberhausen Gedenkhalle.

Ein Beitrag von Otto Marx, Fritz Meinicke und Ramin Rene Sarrafi


Nach der Eröff­nung der neu ge­stal­teten Ober­hau­sener Gedenk­halle gab es nicht nur Zu­stim­mung. Es gab und gibt durch­aus berech­tigte Kritik, wie sie vor allem von Seiten der VVN-BdA geäußert wird.


Die Gedenkhalle diente nie einem Selbst­zweck, ihre Aus­stel­lung war stets der all­ge­mei­nen und po­li­tischen Meinungs­bil­dung ver­pflich­tet und so­mit Gegen­stand der Ge­schichts­politik. In der Aus­stel­lung wur­den die Schul­digen für die fa­schis­tische Dik­ta­tur benannt, der Opfer gedacht und die Frauen, Männer und Jugend­li­chen gewür­digt, die sich in Wider­stands­be­we­gun­gen dem NS-Regime ent­ge­gen­ge­stellt hatten.


Nach der Umgestaltung der Gedenk­halle haben nicht nur Mit­glie­der der VVN-BdA, sondern auch andere an der Geschichte unserer Stadt inter­es­sierte Bür­gerin­nen und Bür­ger, inklu­sive der Verfas­ser dieses Schrei­bens fest­stel­len müs­sen, dass Teile der frühe­ren Aus­stel­lung, die wesent­lich zum Grund­ver­ständ­nis für die his­to­ri­schen zu­sam­men­hänge bei­tra­gen, nicht über­nom­men worden sind.

Aus der Gedenkhalle verschwunden: Paul Reusch

Porträt Paul Reusch.Der nun nicht mehr in der Aus­stel­lung erwähnte Paul Reusch gehörte als Ge­ne­ral­di­rek­tor der Ober­hau­sener Gute­hoff­nungs­hütte (GHH) und Mit­glied mehre­rer Vor­stände und Auf­sichts­räte der rhei­ni­schen Schwer­in­dus­trie zu jenen einfluss­reichen Kreisen der Groß­indus­trie, die gemein­sam mit den Fein­den der Wei­ma­rer Re­pu­blik aus Staat, Mili­tär und Jus­tiz die Macht­über­tra­gung an Hitler durch Hin­den­burg erst mög­lich ge­macht hatten.

Die führenden Köpfe der Schwer­in­dus­trie standen dem par­la­men­ta­ri­schen Sys­tem der Wei­ma­rer Re­pu­blik eben­so ab­leh­nend ge­gen­über wie die nicht ent­mach­te­ten Mo­nar­chis­ten. Paul Reusch gehörte zu den anti­re­pu­bli­ka­ni­schen Wirt­schafts­funk­tio­nä­ren, die eine Prä­si­dial­dik­ta­tur an­streb­ten. Ihre Inter­es­sen deck­ten sich zu­nächst mit denen der Deutsch­na­tio­na­len Volks­Par­tei (DNVP) und der Deut­schen Volks­Par­tei (DVP), deren rech­tem Flügel Paul Reusch an­ge­hör­te. Da es diesen Par­teien an Durch­set­zungs­kraft fehlte, wandten sie sich schließ­lich der NSDAP zu. Das Groß­kapi­tal strebte nach po­li­tischen Zu­stän­den, die ihren Pro­fit­Inter­es­sen am meisten zusagten.

Paul Reusch gründete im Januar 1928 die Ruhr­la­de. Es han­del­te sich hier­bei um ein gehei­mes Gre­mium, in dem fast alle Unter­neh­mer der Schwer­in­dus­trie des Ruhr­ge­bie­tes ver­tre­ten waren. Der zweite Teil des Namens, Lade, erinnert an den so ge­nann­ten Lade­stock, ein Be­griff aus dem Berg­bau. Mit die­sem Werk­zeug schob der Spreng­meis­ter den Spreng­stoff in die vor­be­rei­te­ten Bohrlöcher.

Die Ruhr­la­de war also gewis­ser­maßen ein Pro­gramm zur Spren­gung der par­la­men­ta­rischen De­mo­kra­tie. Die Mit­glie­der die­ses ex­klu­si­ven Zir­kels mit dem harm­los klin­gen­den Na­men tra­fen sich in der Re­gel monat­lich, um ihre Wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Stra­te­gien zu be­reden. Sie spen­deten jähr­lich bis zu 1,5 Mil­lio­nen Reichs­mark für die rechten Par­teien.

Über die Frage, welche Par­teien für sie am nütz­lich­sten waren, gab es anfangs keine einheit­liche Mei­nung. Fritz Thyssen unter­stütz­te die NSDAP bereits seit 1923. Paul Reuschs skep­tische Ein­stel­lung zu den Nazis wegen ihrer ver­meint­lich »so­zia­lis­ti­schen« Pa­ro­len änder­te sich, als der Sozial- und De­mo­kra­tie­ab­bau gegen Ende der Wei­ma­rer Re­pu­blik immer mehr auf den Wider­stand der Beschäf­tig­ten und Arbeits­lo­sen stieß.

Ab 1931 spen­dete die Ruhr­la­de mas­siv an die NSDAP. Im Feb­ruar 1932 traf sich Paul Reusch mit Adolf Hitler und Hein­rich Himm­ler in der Zentrale des GHH-Kon­zerns. Er gab Hitler die Zu­si­che­rung, dass die zum GHH-Kon­zern gehö­ren­den drei süd­deut­schen Zei­tun­gen sich im Wahl­kampf der NSDAP ge­gen­über »wohl­wol­lend neutral« ver­hal­ten wür­den.1 Am 19. März kamen Reusch und die beiden NSDAP-Führer ein wei­te­res Mal zu einem zwei­stün­di­gen Ge­spräch zu­sam­men, wie Pro­fes­sor Johan­nes Bähr, der im Auf­trag des MAN-Kon­zerns auch die Geschich­te der GHH schrieb, be­rich­te­te. In die­sem Ge­spräch äußer­te Reusch seinen Un­mut da­rü­ber, dass Hitler und Hin­den­burg bei den Reichs­prä­si­denten­wah­len gegen­ein­an­der kan­di­dier­ten; das sei, so Reusch, nicht im Inter­es­se der nationalen Sache. Im Übri­gen solle Hitler seine so­zia­lis­tischen Pa­ro­len aus dem Wahl­pro­gramm streichen.

Reusch beteiligte sich nach seiner Bespre­chung mit Hitler an der Finan­zie­rung einer Arbeits­stelle, die Hjalmar Schacht ge­grün­det hatte, um Hitler »wirt­schafts­po­li­tisch zu bera­ten«.2 Am 7. Januar 1933 traf sich von Papen3 in Dort­mund mit fünf führen­den Ruhr­in­dus­triel­len, darun­ter auch Paul Reusch. Angeb­lich ging es um die Betei­li­gung Hitlers an der Regie­rung unter der Füh­rung von Papens.

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler von Hin­den­burg zum Reichs­kanz­ler ernannt.

Der Historiker Johannes Bähr schrieb über Paul Reusch, dieser habe mit seinen maß­losen Atta­cken gegen die Wei­ma­rer De­mo­kra­tie dazu bei­ge­tra­gen, dem Natio­nal­so­zialis­mus den Weg an die Macht zu ebnen.

Jugendliche warten auf Einlass.

Im Frühsommer 1932 verfasste Paul Reusch Richt­li­nien für die Hal­tung der zum GHH-Kon­zern gehö­ren­den Münch­ner Neues­te Nach­rich­ten, worin er dazu aufrief, »den Marxis­mus und wesens­frem­de Kultur­ein­flüsse jeg­licher Art zu be­kämp­fen «. Weiter heißt es in dem Papier: »Das de­mo­kra­tisch-par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem von Wei­mar ist die letz­te Wur­zel vieler Übel. Es ist als für Deutsch­land unge­eig­net abzu­leh­nen (…) Koa­litio­nen mit den So­zial­de­mo­kra­ten sind grund­sätz­lich abzu­leh­nen, mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten grund­sätz­lich zu för­dern«. Für den Be­reich der Außen­po­li­tik fin­den sich u.a. fol­gen­de An­mer­kun­gen: »Die vor­nehmste Auf­ga­be des Blat­tes ist die Frage des natio­na­len Gedankens.

Die Zu­sam­men­fas­sung aller geschlos­sen siedeln­den Deutschen in einem groß­deut­schen Reich … ist zu erstre­ben. Die Kriegs­schuld­lüge als Grund­lage des Ver­sailler Ver­tra­ges ist fort­lau­fend zu be­kämp­fen. Über die Not­wen­dig­keit einer Re­vi­sion der Ost­gren­zen (Korri­dor­frage) ist plan­mäßige Auf­klä­rung zu leisten.« 4

Die Reichstagswahlen vom 5. März 1933

Einen Tag nachdem Hitler zum Reichs­kanz­ler ernannt wor­den war, löste Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg den Reichs­tag auf, und es wur­den Neu­wahlen für den 5. März anbe­raumt. Die NSDAP erhoffte sich jetzt die abso­lute Mehrheit.

Vor der Inszenierung dieses Schmie­ren­thea­ters trafen sich von Papen und Hitler am 4. Januar 1933 im Kölner Haus des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder. Im Nürn­berger I.G.-Farben-Prozess von 1947 gab Schröder eine eides­statt­liche Erklä­rung ab, in der es heißt: »Die allge­mei­nen Bestre­bun­gen der Män­ner der Wirt­schaft gingen dahin, einen star­ken Füh­rer in Deutsch­land an die Macht kom­men zu sehen, der eine Regie­rung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 einen ersten Rück­schlag erlitt und somit also ihren Höhe­punkt über­schrit­ten hatte, wurde eine Unter­stüt­zung durch die deut­sche Wirt­schaft beson­ders dringend. Ein gemein­sames Inter­es­se der Wirt­schaft bestand in der Angst vor dem Bol­sche­wis­mus und der Hoffnung, dass die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten – einmal an der Macht – eine bestän­dige po­li­tische und wirt­schaft­liche Grund­lage in Deutsch­land her­stel­len würden.«5

Dass die NSDAP bei den Novem­ber­wah­len einen Rück­schlag erlit­ten hatte, zeigte sich auch bei den Ober­hau­sener Wahl­er­geb­nis­sen (siehe Tabel­len 1 und 2 im Vergleich).

Der Naziterror in Ober­hau­sen vor den Wahlen vom 5. März 1933

In den Erläuterungen zur neuen Aus­stel­lung heißt es, die Wah­len seien unter dem Vor­ze­ichen des Ter­rors ab­ge­hal­ten worden. Zu dieser durch­aus rich­ti­gen Aus­sage gibt es jedoch ledig­lich einen Ver­weis auf das Schick­sal von Hermann Albertz, der gegen Ende des Krie­ges Op­fer der fa­schis­tischen Gewalt­herr­schaft wurde.

Diese verkürzte und verein­fachte Dar­stellung des natio­nalso­zia­lis­tischen Ter­rors in Ober­hau­sen wird dem Ge­denken an die Opfer indes nicht gerecht.

Bereits unmittelbar nach der Macht­er­grei­fung am 30. Januar 1933 mar­schier­ten SA-Trupps durch Ober­hau­sener Arbei­ter­vier­tel und pro­vo­zier­ten die Bewoh­ner, so z.B. in der Sied­lung Klos­ter­hardt und in der Dun­kel­schlag­ko­lo­nie. Am 5. Feb­ruar über­fielen Nazis Anti­fa­schis­ten vor dem »Volks­heim« in der Markt­straße. Hein­rich Irgl wurde hier­bei durch einen Lungen­steck­schuss lebens­ge­fähr­lich ver­letzt, zwei weitere Men­schen wur­den durch Mes­se­rsti­che verwundet.

Mitte Feb­ruar wurde dann der Ober­hau­sener Polizei­prä­si­dent Weyer, ein Mit­glied der Zent­rumspar­tei, abgesetzt. Durch die Notverordnungen des Reichs­prä­si­den­ten Hin­den­burg vom 4. und 28. Feb­ruar 1933 und die Er­nen­nung von SA und SS zur Hilfs­poli­zei (22. Februar) waren dem fa­schis­tischen Terror keine Schran­ken mehr gesetzt.

Am 24. Feb­ruar wur­den Gewerk­schaf­tern und So­zial­de­mo­kra­ten auf of­fe­ner Straße ihre Abzei­chen von den Re­vers geris­sen. Am 26. Feb­ruar verhinderten SA und SS, unter­stützt von der Poli­zei, eine SPD-Veran­stal­tung in Sterk­rade. Am Sterk­rader Bahn­hof wurde am glei­chen Tag die Milch­halle des Kom­mu­nis­ten Jupp Kathage verwüstet.

Unmittelbar nach dem von den Nazis insze­nier­ten Reichs­tags­brand vom 27. Feb­ruar 1933 erfolg­ten auch in Ober­hau­sen die ersten Mas­sen­ver­haf­tun­gen. Mehr als 200 Kom­mu­nis­ten wur­den in »Schutz­haft« genom­men. Da das Poli­zei­ge­fäng­nis zu klein war, inter­nierte man die will­kür­lich Verhaf­te­ten in der Turn­halle des Real­gym­na­siums, dem heu­tigen Elsa-Bränd­ström-Gym­na­sium. In der Nacht vom 5. zum 6. März wur­den die bei­den Kom­mu­nis­ten Kon­rad Klaas und Leo de Longue­ville von SA-Scher­gen auf dem Schul­hof ermordet.

Der Wahlkampf war geprägt durch Einschüch­terung, ter­ro­ris­ti­sche Ge­walt­ta­ten und bru­tale Über­griffe, ins­be­son­de­re auf Mit­glie­der von KPD und SPD. Füh­ren­de kom­mu­nis­ti­sche und sozial­de­mo­kra­tische Funk­tio­nä­re sowie regime­kri­tische Intel­lek­tu­elle und Schrift­stel­ler wie Carl von Ossietz­ky, Erich Müh­sam, Egon Erwin Kisch oder Lud­wig Renn wur­den ver­haf­tet. Trotz der unzäh­li­gen Fälle phy­si­scher Ge­walt und einer bei­spiel­lo­sen Lü­gen- und Ver­leum­dungs­kam­pagne gelang es der NSDAP nicht, die erhoff­te abso­lute Mehr­heit zu er­rei­chen, weder im Reich noch in Ober­hau­sen (siehe Tabelle 3).

Die Wahlergebnisse wer­den in der Aus­stel­lung zwar er­wähnt, aber lei­der nicht ge­zeigt, und man fragt sich, wa­rum sol­che im histo­ri­schen Kon­text nicht ganz unwich­tigen Fak­ten in der neuen Gedenk­halle keinen Platz finden.

Der Wider­stand gegen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in Ober­hau­sen war par­tei­über­greifend

Der Wider­stand gegen das NS-Regime begann mit der Macht­über­gabe an Hitler. Trotz um­fang­rei­cher Ver­fol­gun­gen und Ver­haf­tun­gen mit vielen Opfern konn­te er nicht völ­lig unter­drückt wer­den.

In der neu gestalteten Aus­stel­lung wer­den ein­zelne Wider­stands­kämp­fer, ihr Wir­ken und ihre Ver­fol­gung durch die NS-Dikta­tur vor­gestellt. Ihre Lebens­ge­schich­ten sol­len die Besu­cher der Aus­stel­lung zum Nach­denken und zur Würdi­gung der vor­ge­stell­ten Per­sonen an­re­gen. Da­bei wer­den diese als In­di­vi­du­a­lis­ten cha­rak­te­ri­siert, die sich im Kampf ge­gen den Fa­schis­mus ge­op­fert haben. Dass ihre Hand­lun­gen über­wie­gend im Rah­men gemein­schaft­licher Aktio­nen von Wider­stands­grup­pen und -Or­ga­ni­sa­tionen erfolg­ten, bleibt weit­gehend im Dunkeln. Dies wider­spricht den tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­sen der da­ma­li­gen Zeit und bedient den momen­ta­nen Zeit­geist der Indi­vidua­lisierung ge­sell­schaft­licher Verhältnisse.

Dagegen zeichnete sich der Wider­stand gegen die Nazi­herr­schaft in Ober­hau­sen dadurch aus, dass Anti­fa­schis­ten über Par­tei- und Reli­gions­gren­zen hin­weg zu­sam­menwirkten.

So erstat­te­te die po­li­tische Inspek­tion des Krimi­nal­kom­mis­sa­riats am 9. November 1934 Anzeige gegen den Kom­mu­nis­ten Georg Saur, den So­zial­de­mo­kra­ten Karl Schlegel und den Ge­werk­schafts­sek­re­tär und So­zial­de­mo­kra­ten Hein­rich Jochem. Sie wur­den beschul­digt, im Sin­ne der Einheits­front eine Zu­sam­men­ar­beit herbei­zu­füh­ren, »um da­durch in ver­stärk­tem Maße die Reichs­re­gie­rung be­kämp­fen zu können«.

Von heraus­ra­gender Bedeutung war der Wider­stand aus der Arbeiter­jugend. So gab es im Heizungs­kel­ler des St.‑Josef-Kran­ken­hau­ses eine ille­gale Dru­cke­rei. Die Bun­des­zen­tra­le für politi­sche Bil­dung schrieb bei der Vor­stellung der alten Ober­hau­sener Gedenkhalle:

»Die jugendlichen Kom­mu­nis­ten druckten hier Flug­blät­ter gegen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. (…) Im No­vem­ber 1934 wur­den 19 Jugendliche, die mit dem Heizungs­kel­ler in Verbin­dung ge­bracht wur­den, ver­haf­tet und zu lang­jähri­gen Haft­stra­fen verur­teilt. Sechs wur­den in das Kon­zen­tra­tions­la­ger Sachsen­hau­sen ge­bracht, zwei kehrten nicht mehr lebend zurück.«

Jugendliche der Sturm­scharen in der katholi­schen Jugend um Kaplan Rossaint verbrei­teten Flug­schrif­ten gegen den Natio­nal­so­zialis­mus und organi­sierten Soli­da­ri­tät mit ver­folg­ten Jungkom­mu­nis­ten.

Über Bedeutung und Leistung von Frauen im Wider­stand ist in der um­ge­stal­teten Aus­stel­lung kaum etwas zu erfah­ren. Ledig­lich in der Daten­bank der Opfer am Ende der Aus­stel­lung finden sich einige In­for­ma­tio­nen zu die­sem Thema.

Die Rüstungswirt­schaft und das Führer­prinzip in den Betrieben – Die GHH und Paul Reusch

Um die Eroberungs­pläne der Nazis reali­sieren zu kön­nen, wurde die Rüs­tungs­pro­duk­tion an­ge­kur­belt. Ein »reibungs­lo­ser« Pro­duk­tions­ab­lauf in den Betrie­ben war ange­sagt, darin waren sich die NS-Führer und die Kon­zern­herren einig.

Bereits wenige Monate nach der Macht­er­grei­fung wur­den die Ge­werk­schaf­ten zer­schla­gen, viele ihrer Funk­tio­nä­re in den Ge­werk­schafts­büros und in den Betrie­ben ver­folgt, ver­haf­tet, ermor­det. Die Unter­neh­mer wur­den zu Betriebs­füh­rern bzw. zu Wehr­wirt­schafts­füh­rern ernannt, wäh­rend die Beleg­schaf­ten zu Gefolg­schaf­ten erniedrigt wur­den.

Die GHH mit ihren ca. 20 Tochter­gesell­schaf­ten, darunter MAN und Deut­sche Werft, war eines der wichtigs­ten Rüs­tungs­un­ter­neh­men der Nazi­herr­schaft. Ohne die GHH wäre der bru­tale Krieg in Euro­pa nicht möglich gewe­sen, denn der Kon­zern liefer­te nicht nur Kohle und Stahl, wie Professor Johannes Bähr schrieb. Die Tochter­un­ter­neh­men pro­du­zier­ten Pan­zer und U-Boot-Moto­ren. Die Kriegs­ma­rine finan­zier­te eine zusätz­liche MAN-Moto­ren­fa­brik in Ham­burg. Selbst in den USA wur­den MAN-Schiffs­mo­to­ren in Li­zenz her­ge­stellt, mit de­nen die USA ihre Kriegs­schiffe aus­rüs­te­ten. Auch an der Pro­duk­tion von Hit­lers »Wun­der­waffe« V1 war die GHH be­teiligt. Auf dem Höhe­punkt der Kriegs­pro­duk­tion beu­tete der GHH-Kon­zern 31 500 Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­beiter aus, da­run­ter viele KZ-Häft­linge. In ihren Ober­hau­se­ner Be­trie­ben waren es 11 000 Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­beiter. Die Profite flos­sen reichlich.

Doch nicht alles verlief für Reusch zufrieden­stellend, denn Ka­pi­ta­lis­mus ohne Konkur­renz gibt es nicht, neue Akteu­re misch­ten sich ein. Es gab nicht nur Vor­teile, sondern auch Behin­de­rungen. Durch staats­mo­no­po­lis­ti­sche Ein­grif­fe zu Guns­ten der Rüs­tungs­wirt­schaft und der Reichs­werke »Hermann-Göring« verlor die GHH ihr Mono­pol über Erz­mi­nen bei Salz­gitter und in Süd­deutsch­land. Das war ärger­lich für den Macht­men­schen Reusch. Andauern­de Quere­len um Macht­anteile und der ungüns­tige Kriegs­verlauf reiz­ten ihn zu Wut­aus­brüchen. 1942 schließ­lich gab er seine Vorstands- und Aufsichts­rats­pos­ten auf. Dies wirkte sich indes günstig für ihn aus bei seinem Entnazifizierungsverfahren nach 1945.

Nachdem Reusch seine Funk­tionen auf­ge­ge­ben hatte, zog er sich auf sein schwä­bi­sches Land­gut zurück und grün­dete den so ge­nann­ten Reusch-Kreis. Dieser bestand aus Indu­striel­len und Groß­agra­riern. Man disku­tierte dort über den Kriegs­ver­lauf und neue Strate­gien. Der Gesta­po war bekannt, dass Carl Goer­deler, der dem konser­vati­ven, zivi­len Wider­stand angehörte, öfters in die­sem Kreis seine Vorstel­lun­gen vor­trug. Im November 1943 sprach er in Anwesen­heit von Paul Reusch von der Not­wen­dig­keit, Hitler von der Führung zu besei­tigen, um zu einer Verstän­di­gung mit »den Angel­sachsen« gegen die »Rus­sen« zu kommen.

Nach dem Scheitern des Atten­tats vom 20. Juli 1944 wurde Goer­deler verhaf­tet, vom Volks­gerichts­hof zum Tode verur­teilt und am 2. Feb­ruar 1945 in Berlin-Plötzen­see hin­ge­rich­tet. Paul Reusch wurde hinge­gen nicht ver­folgt, offen­sicht­lich ver­fügte er noch über einen star­ken Rück­halt im NS-Regime. Andere wur­den für viel weniger gnaden­los ver­folgt. Josef Weide­nauer, ein Arbei­ter bei der GHH Sterk­rade wurde am Arbeits­platz wegen übler Nach­rede gegen Füh­rer und Mili­tär, sowie kommu­nis­ti­scher Propa­gan­da verhaf­tet. Vom Volks­gerichts­hof zum Tode ver­urteilt, wurde er am 14. August 1944 in Berlin-Plötzen­see hingerichtet.

Keine Wirkung ohne Ursachen

Die neue Aus­stel­lung beginnt mit der Errich­tung der Nazi­herr­schaft 1933 und endet mit der Kapi­tu­la­tion 1945. Die po­li­ti­schen und mate­riel­len Grund­lagen für den Fa­schis­mus finden aller­dings keiner­lei Er­wäh­nung, und was vor­dem noch in Wort und Bild dar­ge­stellt wurde, ist ver­schwun­den. Wer waren die Wirt­schafts­füh­rer, die Hitler zur Macht ver­hol­fen hatten und die Kriegs­wirt­schaft organisierten?

Nach der Befreiung vom Fa­schis­mus gab es kaum eine ge­sell­schaft­liche Or­ga­ni­sa­tion, die in ihrer Pro­gram­ma­tik nicht die Ver­ant­wor­tung der Groß­in­dus­trie auf­ge­nom­men hatte. Das galt ins­be­son­dere für SPD, KPD und die Ge­werk­schaf­ten. Selbst die CDU setzte sich in ihrem »Ahle­ner Pro­gramm« von 1947 kritisch mit dem ka­pi­ta­lis­tischen Wirt­schafts­sys­tem auseinander.6

US-amerikanische Militärgerichte verur­teilten bei den Nürn­berger Nach­fol­ge­pro­zes­sen Indus­triel­le wie Krupp und die Chefs der I.G. Far­ben als Kriegs­ver­bre­cher.

Die Anklagepunkte waren unter anderem:

  • »Ver­bre­chen gegen den Frie­den,
  • Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit durch Plün­de­rung und Raub…,
  • Ver­skla­vung der Zivil­be­völ­ke­rung in … besetz­ten Ge­bie­ten, Ver­skla­vung von Kon­zen­tra­tions­la­ger­in­sas­sen, …
  • Folte­rung und Er­mor­dung ver­sklav­ter Menschen. …«


Trotz relativ milder Urteile (es gab auch viele Frei­sprüche) kamen die meisten der Verur­teil­ten auf Drän­gen der Adenauer-Regie­rung nach kurzer Zeit wieder frei.

Porträt: Heinrich Bütefisch während der Nürnberger Prozesse.

Wie reibungslos der Übergang vom Kriegs­ver­bre­cher zum hoch­ka­rä­tigen Wirt­schafts­funk­tio­när der frühen BRD von­stat­ten ging, lässt sich am Beispiel von Hein­rich Büte­fisch aufzeigen:

Bütefisch, Vorstands­mitglied des Tech­nischen Aus­schus­ses der I.G. Far­ben, Wehr­wirt­schafts­füh­rer, NSDAP-Mit­glied, Mit­glied im Freun­des­kreis Reichs­führer SS, war ab 1941 Leiter der Treib­stoff­pro­duk­tion der I.G. Farben-Fabrik in Ausch­witz-Mono­witz und dort verant­wort­lich für die bru­tale Behand­lung der Zwangs­arbeiter.

Bütefisch wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1951 vorzei­tig aus der Haft ent­las­sen. Danach machte er schnell wieder Kar­rie­re und war Auf­sichts­rats­mit­glied bei verschie­de­nen Firmen u.a. bei der Ober­hau­sener Ruhr­chemie AG.

Die Verantwortung der Großindus­trie für die fa­schis­tische Dik­tatur wird immer wieder geleug­net, besten­falls wird das NS-Herr­schafts­sys­tem als Ergeb­nis von Aktio­nen wild gewor­dener Klein­bür­ger dargestellt.

Es sei an dieser Stelle an den Philosophen Max Hork­hei­mer erin­nert, der bereits 1939 aus­sprach, was heute offen­bar unmög­lich scheint:

»Wer aber vom Ka­pi­ta­lis­mus nicht reden will, sollte auch vom Fa­schis­mus schweigen!«.


Tabelle 1

Reichstagswahlergebnisse vom 31. Juli 1932 in Ober­hau­sen

Par­tei

Stimmen Prozent

ZENTRUM

31 837 31,8

NSDAP

25 031

25,0

KPD

23 565

23,4

SPD

10 215

10,2

DNVP

5 830 5,8

DVP

1 339 1,3

Übrige




Tabelle 2

Reichstagswahlergebnisse vom 6. November 1932 in Ober­hau­sen

Par­tei

Stimmen Prozent

ZENTRUM

29 999 31,0

NSDAP

20 478

21,4

KPD

24 323

25,0

SPD

10 000

10,3

DNVP

7 159 7,4

DVP

1 848 1,9

Übrige

3 780

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Tabelle 3

Reichstagswahlergebnisse vom 5. März 1933 in Ober­hau­sen

Par­tei

Stimmen Prozent

ZENTRUM

34 168 31,2

NSDAP

34 019

31,1

KPD

18 376

16,7

SPD

10 541

9,6

Schwarzweißrot
(Vordem DNVP)

7 812 7,1

Übrige

2 894 4,3

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Fotos: Daniel Ullrich, Threedots
MAN SE
Marieke Kuijjer from Amsterdam, The Netherlands
US Army photographers
aus Wikipedia



1 Es handelt sich um Münchner Neueste Nachrichten, Fränkischer Kurier und Schwäbischer Merkur. [zurück zum Text]

2 Johannes Bähr: »Die MAN« 265 [zurück zum Text]

3 Franz von Papen Offizier im Kaiserreich. Nach dem I. Weltkrieg in der Zent­rumspar­tei, 1932 ausgetreten, 1932 Reichs­kanzler und 1933 bis 1934 Vizekanzler im Kabinett Hitler. Papen gehörte zu den 24 im Nürn­berger Prozess gegen die Haupt­kriegs­ver­bre­cher vor dem Inter­na­tiona­len Militär­ge­richts­hof ange­klag­ten Per­sonen. In einem anschlie­ßen­den Spruch­kammer­verfahren wurde er zu acht Jahren Arbeits­lager verur­teilt. Bald darauf vor­zeitig entlassen. [zurück zum Text]

4 Kurt Koszyk, Paul Reusch und die »Münch­ner Neues­ten Nach­rich­ten«, Zum Problem Industrie und Presse in der End­phase der Wei­ma­rer Re­pu­blik in VfZ 1/1972, S. 90 ff
(Durchschrift im Hist. Archiv d. GHH 4001012007/6) [zurück zum Text]

5 Zitiert bei Eberhard Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht?. Köln 1967, S. 78 f. [zurück zum Text]

6 Der Zonenausschuss der CDU für die britische Zone beschloss in seiner Tagung vom 1. bis 3. Feb­ruar 1947 in Ahlen eine program­ma­tische Erklärung. (Auszug):

»Das ka­pi­ta­lis­tische Wirt­schafts­system ist den staatlichen und sozialen Lebens­inter­es­sen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furcht­baren po­li­tischen, wirt­schaftlichen und sozialen Zu­sam­menbruch als Folge einer ver­bre­che­ri­schen Machtpolitik kann nur eine Neu­ord­nung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozia­len und wirt­schaft­lichen Neu­ordnung kann nicht mehr als das ka­pi­ta­lis­tische Gewinn- und Macht­streben, sondern nur das Wohl­ergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemein­wirt­schaft­liche Ord­nung soll das deutsche Volk eine Wirt­schafts- und Sozial­verfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen ent­spricht, dem geistigen und mate­riellen Auf­bau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert«.

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