Fritz Rische aus UZ 12. Aug. 1988

Die Kulturvereinigung Leverkusen e.V. muss die traurige Tatsache vermelden, dass erneut ein großer Kämpfer für die Rechte der Arbeiter, für Demokratie und Frieden verstorben ist.
Wenige Wochen vor seinem 94. Geburtstag verstarb der letzte Abgeordnete des ersten  Deutschen Bundestages, Fritz Rische, in Düsseldorf.

Manfred Demmer, stellvertretender Vorsitzender der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. – der in vielen Bereichen mit Fritz Rische  zusammenarbeitete – erinnert an ihn:

„Am 12. September 1999 nahm in einer Veranstaltung der Kulturvereinigung Leverkusen e.V.  Fritz Rische  zur Gründung der Bundesrepublik vor fünfzig Jahren  Stellung. Im einem Bericht des „Leverkusener Anzeigers“  darüber wird vermerkt, dass Fritz Rische ein Politiker allererster Stunde sei, der vor seiner Wahl in den ersten Bundestag bereits im Vorparlament, dem Bizonalen Wirtschaftsrat wirkte. Wörtlich heißt es dann: „Dort legte er die Grundsteine für die spätere Republik mit. Entsprechend verbittert äußerte er sich über die Tatsache, dass Bundestagspräsident Thierse ihn nicht zur Berliner Jubiläumsfeier am 7. September eingeladen habe. Dann berichtete Rische den Zuhörern von den politischen Verhältnissen in den Kindertagen der Republik, von der parlamentarischen Neuorganisation mit Hilfe der Alliierten und seiner eigenen Rolle dabei. Der Altparlamentarier sparte nicht mit Kritik: Die Bundesrepublik sei vor allem ein ,ein Instrument der Spaltung' gewesen, mit dem man bewusst  eine Front gegen den sowjetischen Osten habe schaffen wollen, meinte Rische. Gut erinnerte sich der 85-Jährige  auch an ehemalige Nazis, die mit ihm in den Bundestag zogen, an die ,antikommunistische Hetze' während des damaligen Wahlkampfes und natürlich auch an das spätere Aus seiner Partei, nach deren Verbot unter Adenauer. All dies seien Gründe. angesichts des Jubiläums nicht in allzu großen Jubel auszubrechen, befand der Zeitzeuge.“

 

Der DKP-Abgeordnete Fritz Rische auf der Bundesversammlung in Westberlin, 17. Juli 1954, ganz links

 Die KPD-Abgeordneten Fisch, Ledwohn (1. Reihe)
Paul, Reimann, Renner, Kühn (2. Reihe)
und Rische, Ruess (3. Reihe)
auf der Bundesversammlung in Westberlin (17. Juli 1954)

Aus:  Angelika Lehndorff-Felsko, Fritz Rische
KPD Verbotsprozess 1954/56
Verlag Marxistische Blätter

Und dieser Befund ist heute mehr den je berechtigt, angesichts der unsozialen und kriegerischen Entwicklungen in unserem Lande. Fritz Rische  stand  Zeit seines Lebens in der vordersten Front jener, die dagegen kämpften. Wer war Friedrich (Fritz) Rische über den  es in  ZEIT online  am 17.8.2006 hieß, das er der einzige noch lebende Bundestagsabgeordnete von 1949 und mittlerweile 93 Jahre alt sei. Einen lange geplanten Besuch im Berliner Reichstag er kürzlich aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen, und so wird er nicht erfahren können, ob er dort offiziell begrüßt worden wäre. Immerhin sei ihm mit fünf Jahrzehnten Verspätung kürzlich ein Ausweis ausgestellt worden, der ihn als ehemaliges Mitglied des Bundestages ausweist. In der Vergangenheit hatte die Bundestagsverwaltung das mehrfach abgelehnt. Denn Fritz Rische sei Kommunist. Er sei 1932 in die KPD eingetreten, gehört heute der DKP an und sei unverändert davon überzeugt, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte bleibt.
Vor 50 Jahren war er ein Staatsfeind. In Handschellen wurde er am 17. August 1956 in Karlsruhe in den Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichtes geführt, verkündet wurde das Urteil im Verbotsverfahren gegen die KPD. Rische war deren Prozessvertreter und er saß wegen "Vorbereitung zum Hochverrat“ in Haft. Sein einziges Vergehen war seine Mitautorenschaft am „Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“, in dem die KPD zum „revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes“ aufrief. Jenes gar nicht mehr aktuelle Programm der KPD, das den Verfassungsrichtern genügte, um der KPD eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ zu attestieren und dem Verbotsantrag der Bundesregierung von 1951 stattzugeben. Soweit die „Zeit“.
Der am 25. Dezember 1914 geborene Fritz  Rische hatte sich als Arbeiterkind  dem Kommunistischen Jugendverband  angeschlossen, in dem er aktiv gegen die ungeheuer drückenden Lasten der kapitalistischen Krise in der Weimarer Republik kämpfte.  Ende 1933 wurde er wegen seines konsequenten Kampfes gegen die Hitlerclique und ihrer finanzkräftigen Förderer von der Gestapo verhaftet, misshandelt und dann für eineinhalb Jahre  im Jugendgefängnis Bochum eingesperrt. Dort sollte der Antifaschist durch Unterrichtsstunden – die von der Anstaltsleitung für die einsitzenden Jugendlichen  abgehalten wurden – auf faschistischen Vordermann gebracht werden.  Fritz verstand es dort durch geschickte Fragen, den Nazi-Oberlehrer mit seinen rassekundlichen und geopolitischen Ergüssen in die Enge zu treiben und so auch in der Haft für antifaschistische Aufklärung zu sorgen. Nach der Entlassung wirkte Fritz weiter gegen die Nazis. 1939 wurde  er erneut in Nazikerker gesteckt.
Anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung von Krieg und Faschismus legte  Fritz Rische „Reflektionen über ein deutsches Thema: 8. Mai 1945“ vor, in denen er sich gegen das Vergessen und Verdrängen wendete. Für ihn war das Ende des vom Hitlersystem bewusst betriebenen Weltkrieges gegen ganze Völker und Rassen die Befreiung. Die Befreiung von der barbarischen Schreckensherrschaft in Vernichtungslagern wie Auschwitz, es war die Befreiung vom Terror des Krieges. Diese größte Befreiungstat des Jahrhunderts prägte seine Position, die er bis  zu seinem Tode konsequent vertrat: Sozialismus oder Barbarei.
Mit großen Hoffnungen – verbunden mit intensivem persönlichen Einsatz – wirkte Fritz Rische in den Jahren des Neuanfangs. Ob als Gewerkschafter (wie am23. April 1945 bei der Konferenz von Belegschaftsvertretern der Bochumer Schachtanlagen, wo er als Gast teilnahm), ob als Journalist und Lizenzträger der KPD-Zeitung für das Ruhrgebiet oder als Parlamentarier. Als Mitglied des Parteivorstandes der KPD setzte er sich konsequent gegen die Remilitarisierung und für die Einheit Deutschlands ein, und trat auch im Bundestag wie die anderen 14 KPD-Abgeordneten dafür ein. Dagegen wurde die Reaktion aktiv. Vom Kalten Krieg beflügelt stellte 1951 die Regierung den Verbotsantrag gegen die KPD. Sechs Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, sechs Jahre nach der Legalität wurde die KPD erneut mit Verbot bedroht. Mit diesem Verbotsantrag wollte die CDU-Regierung der KPD ans Leder, weil diese ihr im Parlament und vor der Öffentlichkeit längst auf die Schliche gekommen war.
In seiner notorischen Geheimdiplomatie hatte Adenauer mit den Westmächten den so genannten Generalvertrag und das Abkommen über die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ ausgeheckt. Die KPD verlangte, die Texte dem Parlament vorzulegen. Die CDU wollte sie geheim halten bis nach der Unterzeichnung durch die Regierung. Fritz Rische prangerte an, wie hier hinter dem Rücken des Parlaments die Weichen auf Remilitarisierung gestellt und die demokratischen Bestimmungen des Grundgesetzes bereits wieder gebrochen wurden. Auf diese Weise wurde auch die Volksbefragung über die Wiederbewaffnung, gesamtdeutsche freie Wahlen und einen Friedensvertrag mit ganz Deutschland hintertrieben, die Chancen für ein einheitliches Deutschland verspielt.
Als der Prozess gegen die KPD geführt wurde, war Fritz Rische Prozessvertreter der Partei und wurde aus dem Knast vorgeführt. Fritz war vorher vom Bundesgerichtshof zu dreieinhalb Jahren Gefängnis und Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts verurteilt worden. Der standhafte Antifaschist war ein würdiger Vertreter der KPD und Vertreter seiner Klasse, der mit Stolz und Würde den Sinn seines kämpferischen Lebens auch gegen die höhnischen Sieger nach dem großen Rückschlag, dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa, verteidigte.
Fritz Rische lernte ich persönlich Ende der sechziger Jahre kennen. Zuerst nur flüchtig – später als ich technischer Mitarbeiter beim Parteivorstand der DKP war – näher. Fritz war als führend in der Wirtschafts- und Sozialabteilung des PV tätiger Genosse immer ein Ansprechpartner, der bemüht war, seine großen Erfahrungen im Klassenkampf nicht herauszukehren, sondern im Gespräch an jüngere Genossen, so wie an mich, ohne Arroganz zu vermitteln. In vielen Gesprächen konnte ich sein Bemühen feststellen, neuen Entwicklungen aufmerksam zu begegnen, den sich daraus ergebenden Fragen zu stellen und entsprechende Antworten zu suchen. Ich erinnere mich an Diskussionen mit ihm über die damals noch existierende EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), wo es darum ging, ob und wie diese das Leben der Arbeiterklasse der betroffenen Länder verändert. Verändert im Interesse der Monopole. Wer sich heute die Entwicklung ansieht, wird sicherlich zur Erkenntnis kommen, wie hellsichtig Fritz damals die Entwicklung voraus sah. Auch an anderen Feldern der Politik wurde die große Erfahrung dieses Arbeiterfunktionärs sichtbar. Als er zum dreißigsten Jahrestag des KPD-Verbots in der Bonner Vertretung – in der ich zu diesem Zeitpunkt wirkte – sprach, wurde deutlich, dass der ehemalige Prozessbevollmächtigte im KPD-Verbotsprozess hier sein Herzblut mit einbrachte. Dies wurde auch  in der für alle Kommunisten schwierigen Situation der Jahre 1989/90 sichtbar. Fritz Rische zerbricht nicht, er kann sich nicht zur Ruhe setzen, privatisieren – obwohl seine Gesundheit angeschlagen ist und die gesellschaftliche Niederlage schmerzt. Er bemüht sich, anderen Genossinnen und Genossen Halt zu geben. Zuverlässig wie eh und je wirkt er in seiner Parteigruppe in Düsseldorf mit. Seine immensen Erfahrungen bringt er in die Gewerkschaftsarbeit mit ein.  Und als jene vermeintlichen Sieger mit dem Pfarrer Eppelmann an der Spitze den dreisten Versuch unternehmen, die Geschichte zu verdrehen, die DDR und ihre Menschen als Ausgeburt des Bösen darzustellen, unternimmt Fritz mit seinen bescheidenen Mitteln den Versuch, den eilfertigen Geschichtsverdrehern zu antworten. Ich weiß noch wie heute, dass wir – ich half ihm damals dabei – viele Stunden darüber diskutierten, wie dem zu begegnen sei. Das Ergebnis war jene Aktion, wo Fritz dem CDU-Pfarrer einige Wahrheiten über die von ihm ausgeblendete BRD-Geschichte entgegen hielt und was dann Wolfgang Harich – wie er in der Zeitung „Das Parlament“ mitteilte – dazu veranlasste, jene Alternative Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte zu gründen, in der Fritz dann auch aktiv mitarbeitete. Mit großem Interesse und Genuss habe ich auch seine wichtigen Beiträge in der Geschichtskommission beim Parteivorstand der DKP in Erinnerung, wo er durchaus auch selbstkritisch Anmerkungen zur Politik der KPD zu machen wusste. Als seine besondere Aufgabe sah er auch, für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges zu streiten. Bis in die letzten Monate seines Lebens fühlte er sich dieser Sache verbunden. Bei vielfältigen Veranstaltungen trat er auf und machte in seinen ruhigen, doch immer kenntnisreichen und klaren Ausführungen die Problematik sichtbar und zwang so die Zuhörer, sich mit dem Thema vertrauter zu machen.
Als ich 1980 längere Zeit mit Fritz Rische in der Sowjetunion weilte und wir dort in Jalta, Wolgograd und Moskau vielfältige Möglichkeiten hatten, Kultur kennen zu lernen, waren seine literarischen Kenntnisse, seine kulturellen Interessen mehr als anregend für mich.
Fritz Rische – ein Kommunist, der in seinem Leben nicht wenigen harten Prüfungen begegnete – lebt nicht mehr. Wenn da einer sich nicht verbittert, wenn er sich und seine Sache nicht aufgibt und darüber reifer wird in  seiner revolutionären Erkenntnis, das ist es, was man Charakter nennt. So mutig wie Fritz im Faschismus kämpfte, war er immer gewesen, so kämpferisch auch danach: in der KPD-Illegalität, im Wirken gegen das KPD-Verbot, in der Arbeit für die DKP, so bei Aktivitäten wie bei der Kulturvereinigung Leverkusen e. V.. So kennen wir ihn. Treu zur Sache, lehr- und lernfähig.  Große Hochachtung über seinen Tod hinaus.
Uns bleibt, sein Leben und Wirken zu beachten und in seinem Sinne für eine humane Gesellschaft zu streiten.
Ein großes  Danke, lieber Genosse Fritz !